Volker Seitz*: Einige ganz persönliche Afrika-Literaturempfehlungen – Teil I

Volker Seitz*: Einige ganz persönliche Afrika-Literaturempfehlungen – Teil IFür mich sind die Literatur und Erinnerungen von Afrikaner:innen der beste Weg, um den einzigartigen, widersprüchlichen und beeindruckenden Kontinent Afrika zu verstehen. Literatur fördert auf angenehme Weise interkulturelles Verständnis und Respekt vor anderen Kulturen. Als Diplomat habe ich mich vor jeder Versetzung mit der zeitgenössischen Literatur eines für mich neuen Landes auseinandergesetzt. Das möchte ich auch jedem Reisenden, Entwicklungshelfer, Journalisten oder eben Diplomaten empfehlen. Eine bessere Vorbereitung auf ein Land gibt es nicht.

Die heutige afrikanische Realität ist jedenfalls bei den genannten Schriftstellern gut verortet. Die Buchinhalte sind der Spiegel ihrer Gesellschaften. Gekünstelte Formexperimente oder forcierte Originalität werden Sie in den Büchern nicht finden. Die Autoren verstehen es aber kunstvoll an die alltägliche Lebenswelt anzuknüpfen. Sie sorgen mit verständlichen Sätzen, die auch Witz und Pointen bereithalten, für Lesevergnügen und einige aufschlussreiche Einsichten.

Man kann auch aus der Literatur lernen, dass man sich in der dortigen Kultur Zeit nehmen muss und zusammen Tee trinken. Es ist nichts ungehöriger, als direkt zur Sache zu kommen. Die Gastfreundschaft verlangt, dafür Sorge zu tragen, dass sich der Besucher wohlfühlt und sich Zeit lässt, ehe er sein Anliegen vorbringt.

Auch lernt man, dass die afrikanische Verwaltungshierarchie ihre eigenen Gesetze hat, z.B. je bedeutender ein Beamter ist, desto kälter ist sein Büro. Büros ohne Klimaanlagen sind den Untergebenen vorbehalten.

Mit ein paar Zitaten aus den Büchern möchte ich Lust auf die Lektüre machen:

Hemley Boum: Die Tage kommen und gehen, Hammer Verlag, 2021
Hemley Boum verzweifelt an ihrem Heimatland und schreibt: „Der kamerunische Staat hat kein Interesse an Menschen, die das Land verlassen. Hier sind die Perspektiven so schlecht, das Fehlen jeder Chance ist so deutlich, dass die Unzufriedenheit und Enttäuschung dieser Gruppe junger Menschen einen Aufstand herbeiführen könnten, sie sind mehr eine Gefahr als eine Belastung. sollten sie auf ihrer gefahrvollen Reise sterben, würden nur ihre Lieben um sie trauern, wenn sie es schafften, würden sie, wie alle Exilanten, ihre Familie zu Hause unterstützen, so gut es ihnen nur möglich wäre. In jedem Fall triumphieren diejenigen, die ihren Besitzstand wahren, indem sie die Zukunft zerstören.“

Yvonne Adhiambo Owuor: Das Meer der Libellen, Dumont 2020
Die in Kenia geborene Autorin schreibt zum Brunnenbau der „Entwicklungshelfer“: „Sie brauchten dafür sechs Monate – anderswo baute man besser geplante Brunnen innerhalb von acht Tagen – und zogen einen hohen Metallzaun um die Baustelle, die von vier bulligen, bis an die Zähne bewaffneten Kerlen grimmigen Blicks bewacht wurde. Als der Brunnen vor acht Monaten dann fertig gewesen war, hatten sie ihn mit halbherzigen Reden und Gesängen vor Delegationen aus aller Welt eingeweiht. Ein geschwätziger ranghoher Militär, dessen Uniformjacke über und über mit Orden gespickt war, hatte den Botschafter zu einem Band mit einer großen roten Schleife geführt, die dieser zur Eröffnung mit einer stumpfen Schere durchschneiden sollte. Und als das erste Wasser aus dem Brunnen geholt wurde und der Botschafter es kostete, verriet sein gequältes Lächeln den Inselbewohnern, dass er gerade erkannt hatte, was sie schon seit Jahrhunderten wussten: dass das Grundwasser auf Pate zu salzig war, um genießbar zu sein. Seitdem war der neue Brunnen nie wieder erwähnt worden.“

Samson Kambalu: Jive Talker, Unionsverlag, 2011
Der Künstler und Schriftsteller Samson Kambalu aus Malawi rät in seinem autobiografischen Roman „Jive Talker“, Unionsverlag 2011, afrikanischen Kindern, sich von Touristen fernzuhalten. „Sonst landet ihr noch auf dem Spendenaufruf irgendeiner Hilfsorganisation“. Außerdem hat er festgestellt, dass die Kinder auf den Fotos keine Schuhe tragen dürfen, denn sonst könnten sie nicht als arm gelten. „Ich trat einen Schritt näher zu den anderen Kindern, um im Bild zu sein, doch sie versuchte immer noch, mich rauszuschneiden. Schließlich gab ich nach. Ich schleuderte meine Schuhe von mir und stellte mich, die Hände in die Hüfte gestemmt, zu dem zerlumpten Haufen. Sie streckte den Daumen hoch. Aber insgeheim wischte ich ihr doch noch eins aus, weil sie dieses Bild nämlich garantiert nicht für einen Spendenaufruf verwenden könnte: So von sich eingenommen stand kein Mensch da, der Hunger litt.“

Wole Soyinka: Brich auf in früher Dämmerung, Amman, 2008
Wole Soyinka schildert in seinen Erinnerungen „Brich auf in früher Dämmerung“, Amman, 2008 wie er Stockholm  von einer Dame , die ihn für ihr „humanitäres Werk“ einspannen wollte, ohne Hemmungen belästigt wurde : “ …die Gattin eines ehemaligen europäischen Ministers, die in Ostafrika einen recht eindrucksvollen philanthropischen Stützpunkt errichtet hatte und deren zentrales Interesse den Kindern galt. Ihre semioffizielle Kampagne war dreist, direkt und imposant…Meine Erinnerung an die dynamische Begegnung  ist inzwischen etwas ungenau, da in dieser Zeit [er hatte gerade den Literaturnobelpreis erhalten]  so viele Begegnungen stattfanden… Madame hatte auch einen fähigen Assistenten – ein verbindlicher, schlaksiger Regierungsbeamter -, dessen Aufgabe es zu sein schien, die auf die überwältigende Erscheinung vorzubereiten, der sie gleich gegenüberstehen sollten, ihre Tugenden aufzuzählen, ihre Selbstlosigkeit zu preisen, mit der sie sich „der Sache“ widmete und sicherzustellen – oder war dies ein Service, der lediglich mir zuteilwurde? – daß man sich von ihrer schlichten, zurückhaltenden Art nicht täuschen ließ. Er schulde es ihrer Mission, ihre Erfolge ins rechte Licht zu rücken, und bedaure es zutiefst, daß die Welt sie bisher nicht in angemessener Weise zur Kenntnis genommen habe, doch sei er fest überzeugt, eine so scharfsinnige Person wie ich werde gewiß sofort erkennen, wie nötig es sei, diese Arbeit endlich in das Bewusstsein der Welt zu katapultieren, Sie habe bereits zahlreiche afrikanische Oberhäupter getroffen. Wenn ich, bitte, einen Blick in die Folianten werden wolle, so könne ich dort die glühenden Lobesbezeugungen sehen, die diese honorigen Herren darin hinterlassen hätten… Irgendwann stießen wir schließlich zu der Dame selbst, die pflichtbewusst bei ihren Exponaten stand. Wortreich geleitete sie mich durch die fotografisch bebilderten Artikel in den ausgebreitet liegenden Publikationen: Madame in voller Safarimontur komplett mit Tropenhelm der afrikanischen Hitze trotzend, Madame mit Versorgungsgütern auf einem Boot, Madame mit einem Staatsoberhaupt nach dem anderen. Darauf Massen von Fotos mit afrikanischen Säuglingen und Kleinkindern auf den armen, ausgemergelten Babys und fette Babys -vorher und nachher -, Zeugnisse über Zeugnisse in schweren Bildbänden… Die „zurückhaltende“ Lady beackerte den Boden, den ihr fähiger Sprecher schon so gründlich vorbereitet hatte, füllte Lücken, überhäufte mich mit Exemplaren der kiloschweren Schwarten…Habe ich schon erwähnt, daß sie mich die „Weiße Afrikanische Mutter“ nennen?… Also wenn Sie ein Gedicht schreiben würden… Der Weißen Afrikanischen Mutter, sagte ich, Sie wünschen ein Gedicht auf die Weiße Afrikanische Mutter? Oder irgendein Yoruba – Sprichwort, das man adaptieren kann; irgendetwas, das mit Mutter zu tun hat… Zermürbt und zerschlagen erhob ich mich…Die Selbstinthronisierung als Weiße Afrikanische Mutter mochte nur ein Vehikel sein, um die Schleusen für die Milch der frommen Denkungsart zu öffnen…. Sie war so freundlich, mir zu erlauben mich zu entfernen, um mich auf die weiteren Verpflichtungen dieses Morgens vorzubereiten… Dienstbeflissen und unbeirrbar folgte mir ihr Assistent… Hat sie die andere Angelegenheit erwähnt? fragte er unterwegs. Sie verfolgen mehr als ein Projekt? … Hatte ich doch gedacht, eine Weiße Afrikanische Mutter zu sein wäre allein schon ein mehr als tagesfüllendes Programm. Er rollte die Augen und schüttelte verzweifelt den Kopf. Ich sagte es ja schon, seufzte er, sie ist eine so zurückhaltende, feine Dame. Viel zu zurückhaltend. So zurückhaltend, dass sie sich selber schadet. Sie hat nichts von der Nominierung gesagt? Nominierung als Weiße Afrikanische Mutter?… Wir glauben, wenn Sie, Mr. Soyinka, diese hohe Anerkennung, die sie schon genießt, und die Idee, die sie vertritt, unterstützen würden, dann würde sie endlich den Friedensnobelpreis bekommen.“

*Volker Seitz war von 1965 bis 2008 für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ (dtv).  Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.