*Volker Seitz: Einige ganz persönliche Afrika – Literaturempfehlungen – Teil III

*Volker Seitz: Einige ganz persönliche Afrika – Literaturempfehlungen - Teil IIIWangari Maathai: Afrika mein Leben, Dumont 2008: Die Friedensnobelpreisträgerin (2004) Wangari Maathai schreibt in ihren Erinnerungen „Afrika mein Leben“, Dumont 2008, zur Scheidung von ihrem Mann Mwangi Mathai, der in den USA studiert, in Kenia für mehrere Unternehmen gearbeitet hatte, bevor er in die Politik wechselte: „Mwangi wurde mit den Worten zitiert, er verlange eine Scheidung, weil ich ‚zu gebildet, zu stark, zu erfolgreich, zu eigensinnig und zu schwer zu kontrollieren‘ sei.“… „Wie die meisten Menschen gingen die Reporter und Redakteure davon aus, dass es die Schuld der Frau ist, wenn eine Ehe schiefgeht, dass sie ihre Pflichten vernachlässigt und ihrem Mann nicht gehorcht hat.
Ihrer Meinung nach wurde ich mit Fug und Recht öffentlich gesteinigt, weil ich die Autorität meines Mannes infrage gestellt hatte. Und da ich eine gebildete Frau war, sollte meine öffentliche Demütigung allen anderen gebildeten Frauen als Warnung dienen, dass ihnen das gleiche Schicksal blühen würde, falls sie es wagten, eine solche Autorität zu hinterfragen.“
Der damalige Präsident Daniel arap Moi (siehe unten) über Wangari Maathai: „Unter anderem erklärte er, wäre ich eine richtige Frau ‚in der afrikanischen Tradition‘, würde ich die Männer achten und den Mund halten.“

Nuruddin Farah: Jenes andere Leben, Suhrkamp 2016, Tochter Frau, Suhrkamp 2010
Auch dieser großartige Autor aus Somalia befasst sich in seinen Romanen mit dem fehlenden Respekt und Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen, die in einigen Staaten tief verwurzelt sind. In afrikanischen Ländern ist doch meist der Mann der Chef im Haus. Nigerias Präsident Muhammadu Buhari antwortete während eines gemeinsamen Auftritts mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016 in Berlin auf die Frage eines Journalisten, wo seine Frau politisch steht: „Ich weiß nicht, zu welcher politischen Partei meine Frau gehört. Soweit ich weiß, gehört meine Frau in mein Wohnzimmer, in die Küche und in den anderen Raum.“

„In Somalia wird eine Frau nicht als eigenständiger Mensch betrachtet. (…) Sie ist eine Verlängerung männlicher gesellschaftlicher Interessen, weswegen wir nicht von ,Frauenorganisationen‘, sondern von ,Mütterorganisationen‘ sprechen. Das trifft auch auf die kenianische Gesellschaft zu, sogar noch mehr“. Nuruddin Farah in seinem Roman „Jenes andere Leben“, Suhrkamp 2016
„In Somalia bekommen die Männer die besten Stücke vom Fleisch, Frauen die Eingeweide von Tieren und die Überbleibsel.“ Nuruddin Farah in „Tochter Frau“
„Der einzige Umstand, der einer Frau in der islamischen Tradition das Recht gibt, sich von ihrem Mann zu ‚scheiden‘, ist, wenn er sie und ihre Kinder nicht mit der benötigten Nahrung und Kleidung versorgen kann.“ „Tochter Frau“
„In diesem Land ist Vergewaltigung nicht in der Weise strafbar wie andere Gewalttaten. Der typische Kompromiss, der üblicherweise erzielt wird, besteht darin, dass der Vergewaltiger sein Opfer heiratet, ihre Hand in Anwesenheit der Ältesten aus seinem und ihrem Clan zur Ehe annimmt.“ Nuruddin Farah in seinem Roman „Tochter Frau“.
Frauen auf dem Land und der urbanen Unterschicht, die vom Lande kommen und keine Ausbildung genossen haben, sind in besonderer Weise ungeschützt Gewalt und Erniedrigung durch Männer ausgesetzt.

Emmanuel Dongala „Gruppenfoto am Ufer des Flusses“, Hammer-Verlag 2011
Emmanuel Dongala (Kongo Brazzaville) beschäftigt sich u.a. mit christlich -fundamentalischen Sekten, die sich in Afrika ausbreiten und dem Hexenwahn: „Ein Pastor der Erweckungskirche und zwei Dutzend seiner Anhänger haben in den Straßen Kinshasas Kinder gejagt, als ‚Hexenkinder‘ angeprangert und grausam misshandelt. Solche Jungen im Alter von fünf bis 14 Jahren werden oft beschuldigt, für die Krankheit und die Armut ihrer Eltern verantwortlich zu sein. Verfolgt, geprügelt, ja sogar gequält, flüchten sie von zu Hause und suchen in den Straßen Zuflucht, wo man sie oft verjagt. Beim Verhör gab der Pastor zu Protokoll, seine Aktion gehe auf eine Offenbarung des Heiligen Geistes zurück, der ihm gesagt habe, sein sechsjähriger Neffe sei für den plötzlichen Tod seines Bruders verantwortlich, für die Unfruchtbarkeit seiner Frau und die lange Ehelosigkeit seiner Schwester. Der Junge bekam drei Tage nichts zu essen, wurde geschlagen, und man drohte, ihn wie Jesus Christus mit weißglühenden Nägeln zu kreuzigen. Schließlich gestand er, tatsächlich ein Hexer zu sein, er benutze einen Halm und eine Hahnenfeder als Flugzeug, um nachts zu reisen, er habe nicht nur seinen Onkel, sondern bereits drei andere Menschen ‚gefressen‘, und zwei seiner Komplizen würden auf der Straße leben, darum die vom Pastor ausgelöste Hatz.“

und später:

„Sie war Mutter von sechs Kindern; ihr Drama begann, als ihre drei jüngsten Kinder innerhalb von vier Jahren starben, zwei an Malaria und eins an Sichelzellenanämie. Die Familie ihres Mannes machte sie für den Tod der Kinder verantwortlich, beschuldigte sie, sie sei eine Hexe, und jagte sie aus dem Haus. Das Schlimmste für sie war dabei, dass ihre Kinder sie nun mieden, aus Angst, sie würde auch sie ‚fressen‘. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie dir diese Geschichte erzählte. Und wie immer in einem Dorf, wenn jemand der Hexerei beschuldigt wird: Eine Bande Jugendlicher, die von einem ihrer Söhne angeführt wurde, steckte nachts ihr Haus in Brand mit der Absicht, sie bei lebendigem Leib zu verbrennen. Zum Glück hatte sie es bis zum Waldrand geschafft, als die Brandstifter merkten, dass sie durch das kleine Fenster an der Rückwand geflohen war, während alle vor dem Haus warteten, um sie allenfalls zu steinigen, sollte sie den Flammen entkommen. Sie verfolgten sie wie eine Hundemeute ein Wild, doch sie kannte den Wald besser als ihre jungen Söhne.“

NoViolet Bulawayo : „Wir brauchen neue Namen“, Suhrkamp 2016:
Die Autorin aus Simbabwe rechnet mit weißen Selbstdarstellern ab: „Die NGO-Leute steigen aus, alle fünf. Es sind drei Weiße, zwei Frauen und ein Mann, denen sieht man gleich an, dass sie nicht von hier sind, und Sis Betty, die ist von hier. Sis Betty spricht unsere Sprachen, ich glaub, sie hat die Aufgabe, uns die Weißen zu erklären und die Weißen uns. Und der Fahrer ist wahrscheinlich auch von hier. Abgesehen davon, dass er fährt, sieht er nicht wichtig aus. Außer ihm tragen alle Sonnenbrillen, Augen gucken uns an, und wir können sie nicht richtig sehen, weil sie sich hinter einer Wand aus schwarzem Glas verstecken… Sobald wir sitzen, fängt der Mann mit seiner großen Kamera an, zu fotografieren. Die machen einfach gern Fotos, diese NGO-Leute, wie echte Freunde und Verwandte irgendwie, die sich später zu Hause mit ihren anderen Freunden und Verwandten die Bilder angucken, auf uns zeigen und unsere Namen sagen. Es schert sie nicht, dass der Dreck und die zerfetzten Kleider uns peinlich sind, dass es uns lieber wäre, wenn sie das sein lassen; sie knipsen trotzdem, knips knips knips. Wir meckern nicht, weil wir wissen, dass nach dem Knipsen die Geschenke dran sind… Jeder von uns kriegt ein Spielzeuggewehr, ein paar Süßigkeiten und was zum Anziehen; ich krieg ein T-Shirt mit dem Wort Google vorne drauf und ein rotes Kleid, das unter den Achseln kneift … Viel danke, sag ich zu der hübschen Frau, die mir meine Sachen gibt, um ihr zu zeigen, dass ich Englisch kann. Sie sagt nichts zurück, als hätte ich irgendwie nur gebellt… Los, wir spielen Krieg, und schon laufen wir und legen uns gegenseitig um mit unseren nagelneuen Spielzeuggewehren aus Amerika.“

Ngugi wa Thiong’o : Herr der Krähen, Fischer 2013
Der 1938 in Kenia geborene Autor wird seit einigen Jahren als Favorit auf den Literaturnobelpreis gehandelt. Sein Hauptwerk, der höchst vergnügliche satirische Roman „ Herr der Krähen“ handelt von einem  namenlosen despotischen Herrscher „ Seine Allmächtige Vortrefflichkeit“ in der fiktiven Republik Aburiria. Das Buch ist mit Leichtigkeit geschrieben und – trotz der fast 1000 Seiten – nie langweilig. Der Herrscher will sich mit gigantischen Bauvorhaben „Marching to Heaven, einem modernen Turmbau zu Babel, Weltgeltung verschaffen. Er ist umgeben von Handlangern, die sich ständig bemühen dem gottgleichen Herrscher ihre Ergebenheit zu beweisen. Sein Gegenspieler wird unfreiwillig der „Herr der Krähen“, ein Bettler der zum Zauberer, Heiler und Seher wird.
Das Buch ist in bester afrikanischer Erzähltradition geschrieben und eine köstliche Parabel auf die politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse in einigen afrikanischen Staaten. [ Die Geschichte erinnert an das Kenia des Despoten Arap Moi (1978 – 2002).]
Das Buch sprüht vor Witz, Originalität und unerwarteten Wendungen. Ngugi wa Thiong’o schreibt Weltliteratur und jeder, der sich für Afrika interessiert sollte dieses Buch kennen.

Zum Schluss noch ein Buch mit Fußballgeschichten aus Afrika:

Thilo Thielke : Traumfußball – Geschichten aus Afrika , Verlag Die Werkstatt, 2009
Der viel zu früh verstorbene Thilo Thielke war etliche Jahre Afrika-Korrespondent für den Spiegel und die FAZ. Er hat sich in diesem liebevoll geschriebenen und bebilderten Buch mit dem afrikanischen Fußball beschäftigt. Da in Kürze die Weltmeisterschaft auch  mit 5 Mannschaften aus Afrika (Marokko, Tunesien, Senegal, Kamerun und Ghana) stattfindet, möchte ich auch dieses Buch zur Lektüre empfehlen. Thielke schreibt: „Fußball ist aber auch deshalb das afrikanische Spiel, weil Fußball einfach ist. Man braucht dafür kein Geld und auch keine teuren Klamotten, nur ein paar Jungs mit freier Zeit. In Afrika lernt man schnell, dass selbst ein richtiger Ball nicht immer benötigt wird. Stoffreste, Plastiktüten, alte Zeitungen und ein Bindfaden oder Klebeband reichen. Es kann barfuß gedrippelt und gelupft werden, und in Sandalen aus Autoreifen darf geschossen werden. Wozu braucht ein Tormann Handschuhe? Und sein Kasten ist aus zwei Holzklötzen, einem Kleiderberg oder Pappkartons schnell gemacht und verfügt selten über die Maße 2,44 Meter Höhe mal 7,32 Meter Breite, wie es die Norm des Weltverbandes Fifa will.“

*Volker Seitz war von 1965 bis 2008 für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ (dtv).  Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.