
Die neue Ministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) ist nicht mit entwicklungspolitischer Kompetenz aufgefallen. Das war für die Besetzung des Amtes wohl nicht entscheidend. Aber wird dieses Ministerium überhaupt gebraucht?
Mit der neuen deutschen Regierung ist zu fürchten, dass es in der Entwicklungspolitik ein „weiter so“ geben wird. Zu der düsteren Vorhersage, dass die neue Ministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) die Ampelpolitik der Verteilung von Milliarden an zweifelhafte Regime, vor allem in Afrika, wohin ein Großteil der „Hilfe“ geht, fortsetzen wird, braucht man keine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Ich würde nicht so weit wie Martin Sonneborn gehen und sagen, dass „sich Minister nicht mit Sachverstand belasten sollten“, aber aus dem bekannten Lebenslauf kann ich bislang kein Interesse an den neuen Aufgaben herauslesen.
Der Kreislauf der Hilfsabhängigkeit wird weiter befeuert. Dass die staatliche Entwicklungshilfe für Afrika mehr Teil des Problems als der Lösung ist und deshalb weitestgehend gestrichen gehört, dämmert vielen Deutschen wie auch kritischen Afrikanern selbst. Im Haushaltsjahr 2024 standen dem Entwicklungsministerium (BMZ) rund 11,22 Milliarden Euro zur Verfügung. Die gesamten deutschen öffentlichen Entwicklungsleistungen (ODA) im Jahre 2024 – nach Berechnungen der OECD – belaufen sich auf 30 Milliarden Euro.
Veruntreuung vor aller Augen
Allerdings ist es in 60 Jahren Entwicklungshilfe nicht gelungen, lokale Strukturen in Afrika nachhaltig zu verbessern. (Asiatische Länder haben sich erfolgreich aus der Abhängigkeit von Hilfsgeldern, durch dynamische politische Führungen mit wirtschaftlichen Fortschritten, befreit.)
Das liegt daran, dass auf unserem Nachbarkontinent ein beträchtlicher Teil der Gelder durch Korruption verloren geht und ein erheblicher Teil in den korrupten Ländern in die Taschen von Politikern und Beamten wandert. Überall in Afrika sind Investitionsruinen – sogenannte Weiße Elefanten – zu besichtigen: Wracks von teuren Autos, Baugerät, verrostete Maschinen und landwirtschaftliche Geräte, brachliegende Brunnen, heruntergekommene Straßen.
Es gibt Studien, die den Abfluss von Entwicklungsgeldern in Steueroasen belegen. Professor Hans F. Illy (Freiburg) hat mir oft erzählt, wie in der Entwicklungshilfe Geld in dunklen Kanälen versickert. Ich habe Prof. Illy erstmals als Gutachter während meiner Zeit in Kamerun kennengelernt. Interne Kritik an solchen Missständen wird nach meiner Erfahrung aber ignoriert. Man will Negatives über ein Projekt vermeiden, damit die Gelder weiter fließen.
Wenn es nach profilierten kritischen Afrikanern wie Moeletsi Mbeki, Wole Soyinka, Ali-Khan Satcha, James Shikwati, Dambisa Moyo oder Teju Cole geht, sollten sich auch die Europäer mit ihrer Entwicklungshilfe komplett zurückziehen und Afrika endlich die Chance geben, selbst für sein Überleben zu sorgen.
Die neue Koalition müsste Prioritäten setzen und nicht noch mehr – schuldenfinanziertes – Geld im Ausland ausgeben. Als Beispiel könnte man sich Japan nehmen, das – wegen hoher Staatsverschuldung – mit einer Gesetzänderung seine staatliche Entwicklungshilfe künftig gezielter und effizienter einsetzen will.
Ich bin sehr froh über die Diskussion über Effizienz und Effektivität der deutschen Entwicklungspolitik. Als ehemaliger Diplomat/Botschafter in Afrika und Armenien habe ich Erfahrungen in Entwicklungsländern sammeln können und weiß deshalb, dass es viele Überschneidungen und zu wenig Abstimmung zwischen den verschiedenen Akteuren gab und gibt.
Merz brauchte ein Zuckerl für die SPD
Deutschland braucht deshalb eine kohärente Gesamtpolitik, weil viele Projekte hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben und Deutschland kaum Einfluss in den Ländern hat.
Der verstorbene Bundespräsident Köhler hat immer wieder gesagt – und er kannte sich in Afrika aus – „Mehr Geld ist kein Selbstzweck. Mehr Geld fördert manchmal vor allem den Status quo, wenn der berüchtigte Mittelabflussdruck und seine Schwester, die Absorptionsfähigkeit, ihre Kraken ausstreckend dafür sorgen, dass nicht die beste, sondern die bequemste Idee finanziert wird.“ Überall, wo ich tätig war, hatte die GTZ (heute GIZ) Mühe, überhaupt genug sinnvolle Projekte zu finden. Projekte sind oft Fremdkörper für die Menschen.
Es wird immer wieder beschönigend von „Entwicklungszusammenarbeit“ statt „Entwicklungshilfe“ gesprochen. Ich habe in keinem Land eine echte Zusammenarbeit erlebt. In der Diskussion wird gerne verschwiegen, dass es in keinem Land der wichtigen europäischen Geber noch ein eigenes Ministerium für Entwicklungshilfe gibt (Frankreich bereits 1998, Großbritannien 2020).
Die Eingliederung des BMZ in das Auswärtige Amt wäre ein längst fälliger Schritt gewesen. (Aber Merz brauchte, wie in der Vergangenheit bei allen Koalitionsverhandlungen üblich, noch ein Zuckerl – mit viel Geld zum Ausgeben – für den Koalitionspartner.)
Wir brauchen eine gesamtpolitische Zielsetzung, die sich auf diese Weise nach meinen Erfahrungen effizienter erreichen lässt. Entscheidungen über Erfolg versprechende Programme müssen vor Ort getroffen werden. Alle Aktivitäten der Bundesregierung im Ausland sollten sich endlich einfügen in die oftmals komplexen Gesamtbeziehungen Deutschlands zu dem betreffenden Land. Es hätte meines Erachtens Sinn ergeben, den Sachverstand des BMZ mit dem der Botschaften zusammenzuführen.
Entwicklungspolitik braucht eine einheitliche, selbstbewusste und sachkundige Vertretung unter Leitung der Auslandsvertretung. Die würde auch das unsägliche Zuständigkeitsdenken beenden. Heute ist es so, dass fast alle Ministerien, alle Bundesländer und manchmal Städte eine Hilfskomponente haben, die die Botschaften oft nur zufällig erfahren. Ich habe erlebt, dass dortige Journalisten sich darüber lustig machten. Es macht keinen guten Eindruck, wenn in einem Land der Eindruck entsteht, dass Hilfegeber miteinander konkurrieren.
In meiner Zeit als Botschafter, z.B. in Benin und Kamerun, habe ich mich überwiegend mit Entwicklungshilfe beschäftigt und Projekte besucht. Dabei ist mir aufgefallen – was mir Frau Schäuble in Cotonou auch entsetzt bestätigte –, dass sehr oft ein Projektleiter nicht über ähnliche Projekte von anderen Gebern oder sogar von GTZ/GIZ unterrichtet war.
Ich würde mich freuen, wenn die neue Regierung afrikanische Staaten nur dann noch unterstützen würde, wenn diese die Entwicklung des Landes – politisch wie finanziell – endlich in die Hand nehmen und ihr Schicksal mit Tatkraft selbst bestimmen. Hilfsgelder sollten nur noch als Kredit zur Verfügung gestellt werden, wenn es gar nicht anders geht. Ich würde mich freuen, wenn die Aufmerksamkeit unserer Wohltätigkeitsindustrie mit Steuergeldern auch einmal abnehmen könnte.
(Quelle: achgut.com, mit frdl. Genehmigung des Autors *Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage).