
Sie sind mit den Augen auf Bildschirme geheftet aufgewachsen. Die Welt haben sie nicht durch Bücher oder Erzählungen der Älteren entdeckt, sondern durch Feeds, 30-Sekunden-Videos, Instant-Messages und flüchtige Livestreams. Sprache, Schreiben, Lesen – all das wurde vom digitalen Schock überlagert. Sie sind im Netz geboren, im Virtuellen aufgewachsen – und ertrinken im Realen. Unsere Generation ist die erste in der Geschichte, die digitalisiert wurde, bevor sie überhaupt alphabetisiert war.
Schon im frühen Kindesalter hat der Bildschirm die Stimme der Eltern ersetzt, das imaginative Spiel, die Gutenachtgeschichte. Der Bildschirm als Babysitter, Spielzeug, Lehrer. Und wenn das Lesealter erreicht ist, ist die Gewohnheit längst etabliert: Das Auge sucht Bewegung, Scrollen, das Sofortige. Die leere Seite wirkt langweilig, langsam, überflüssig. Das Buch wird zum verstaubten Objekt, das gesprochene Wort zum zu komplizierten Werkzeug. Man klickt schneller, als man denkt, man reagiert mehr, als man versteht. Das Ergebnis: Eine hypervernetzte, überinformierte Generation – die jedoch oft nicht zwischen den Zeilen lesen, keine Quelle prüfen, keinen Gedanken strukturieren kann.
Dieser Widerspruch ist kein Randphänomen – er ist global. Laut DataReportal waren 2024 weltweit über 93 % der 16- bis 24-Jährigen online. Es ist die am stärksten vernetzte Altersgruppe, die am meisten Inhalten ausgesetzt ist, die aktivste auf sozialen Medien. Und doch erinnert die UNESCO daran, dass in vielen Ländern Subsahara-Afrikas, Südasien und Lateinamerikas fast jedes zweite Kind im Alter von zehn Jahren noch keinen einfachen Text lesen und verstehen kann. Während der Internetzugang wächst, nimmt der funktionale Analphabetismus zu.
Und in den sogenannten entwickelten Ländern ist die Lage kaum beruhigender. Schreiben zu können war noch nie so nebensächlich wie heute. Künstliche Intelligenz erledigt die Hausaufgaben, korrigiert Fehler, formuliert E-Mails. Man bevorzugt Sprachnachrichten gegenüber Texten, Videos gegenüber Aufsätzen. Man kürzt, vereinfacht, überspringt. Doch was wir beim weniger Lesen verlieren, ist die Fähigkeit zum Denken – langsames, tiefes, logisches Denken. Ohne diese notwendige Langsamkeit, ohne geistige Disziplin, werden wir anfällig für alles, was die Maschine uns vorsetzt.
Denn das Internet ist kein „globales Dorf“. Es ist ein Dschungel. Dort gibt es Wunder, ja – aber auch Fallen, Illusionen, Attrappen. Eine Welt, in der Falschinformationen sich sechsmal schneller verbreiten als Wahrheiten. In der Algorithmen Vorurteile verstärken, geistige Blasen schaffen, Meinungen radikalisieren. Eine Generation, die nicht kritisch lesen kann, wird zur idealen Beute: für Extremisten, Manipulatoren, Traumverkäufer und Hassprediger.
Und Afrika steht in diesem globalen Kontext im Zentrum dieses Paradoxons – mit brutaler Wucht. Auf einem Kontinent, auf dem über 60 % der Bevölkerung jünger als 25 Jahre ist, gleicht die Jugend einem Vulkan: brillant, voller Potenzial, Mut und Träume. Doch sie ist auch gefangen in einer toxischen Gleichung: Bildungsarmut + Hypervernetzung. Handys gibt es überall – Bibliotheken kaum. Videos verbreiten sich schneller als Unterrichtsstoff.
Das ist keine Kritik – es ist ein Hilfeschrei.
Man kann eine Generation nicht in der Dunkelheit tappen lassen, nur weil sie eine Taschenlampe in der Hand hält. Technologie ist ein Werkzeug, kein Ziel. Sie ersetzt weder Schule noch gesunden Menschenverstand noch reflektiertes Denken. Nur weil man alles nachschlagen kann, heißt das nicht, dass man weiß, wonach man suchen muss. Nur weil man mit allen sprechen kann, heißt das nicht, dass man sich verständlich machen kann. Nur weil man Zugang zur Welt hat, versteht man noch lange nicht ihre Regeln.
Die digitale Kluft ist längst nicht mehr nur eine Frage des Zugangs. Es ist eine geistige Kluft. Eine Kluft zwischen denen, die digitale Werkzeuge als Hebel nutzen – und denen, die sie als permanente Ablenkung erleiden. Zwischen denen, die lesen, um zu lernen – und denen, die scrollen, um zu entkommen. Zwischen denen, die denken – und denen, die nur wiederholen.
Doch es ist noch nicht zu spät.
Der Kampf, der vor uns liegt, ist einfach: Lesen und Technologie wieder zu versöhnen. Langsames Denken in einer schnellen Welt wieder einzuführen. Wissen gegenüber dem Spektakel aufzuwerten. Jungen Menschen nicht nur beizubringen, wie man digitale Werkzeuge nutzt – sondern vor allem, wie man sich davor schützt. Wie man Wahrheit von Lüge unterscheidet. Wie man seine Stimme findet, nicht nur sein Profil. Wie man in einer lauten Welt ein kritisches Bewusstsein entwickelt.
Diese Generation wird nicht dadurch gerettet, dass man ihr das WLAN kappt. Aber man kann ihr Orientierung geben, geistige Werkzeuge, ein Rückgrat. Der Bildschirm kann ein Fenster zum Lernen werden – wenn man gelernt hat, hinter die Oberfläche zu blicken. Es geht nicht um Nostalgie oder Konservatismus. Es geht um geistiges Überleben.
Denn eine Generation, die die Welt nicht lesen kann, wird sich in ihr verirren. Und eine Gesellschaft, die zulässt, dass ihre Jugend sich in der Oberfläche verliert, verzichtet auf ihre eigene Zukunft. (Quelle: afrik.com)