Die UNESCO-Welterbestätte Oldupai-Schlucht im Norden Tansanias ist als „Wiege der Menschheit“, bekannt. Neue interdisziplinäre Feldforschung führte nun zur Entdeckung der bislang ältesten archäologischen Stätte in der Schlucht. Frühe Menschen nutzten dort über einen Zeitraum von 200.000 Jahren vielfältige Lebensräume, die immer wieder ökologischen Veränderungen unterworfen waren.
Mit einer Vielzahl an archäologischen Befunden von ausgestorbenen menschlichen Arten, deren Alter sich über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren erstreckt, eignet sich der Ostafrikanische Graben besonders gut zur Erforschung des Ursprungs der Menschheit. Trotz mehr als einem Jahrhundert archäologischer und paläontologischer Forschung blieb jedoch der ökologische Kontext, in dem diese frühen Menschen lebten, nur schwer fassbar. Insbesondere fehlte es an ökologischen Studien in direkter Verbindung mit kulturellen Überresten.
Für die neue Studie arbeiteten Forschende des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Universität Calgary (Kanada) und der Universität von Dar es Salaam (Tansania) zusammen, um gemeinsam die Ausgrabungsstätte „Ewass Oldupa“ freizulegen. Die Ausgrabungen förderten rund zwei Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge zu Tage – die ältesten, die bislang in der Oldupai-Schlucht gefunden wurden. Ausgrabungen in langen Sequenzen geschichteter Sedimente und datierten vulkanischen Horizonten geben Hinweise, dass Hominini von etwa 2 bis 1,8 Millionen Jahren vor unserer Zeit in Ewass Oldupai lebten.
Die Untersuchung der Fossilien von Säugetieren (wilden Rindern und Schweinen, Flusspferden, Panthern, Löwen, Hyänen und Primaten), von Reptilien sowie Vögeln, offenbarte zusammen mit einer Reihe weiterer multidisziplinärer Studien, mehrere Veränderungen des Lebensraums in diesen 200.000 Jahren. Es änderten sich Fluss- und Seensysteme, Farnwiesen, strukturierte Waldflächen, natürlich abgebrannte Landflächen, Palmenhaine an Seeufern und trockene Steppenlandschaften. Die Daten belegen eine periodische und wiederholte Nutzung einiger Lebensräume, unterbrochen von Phasen, in denen es keine menschlichen Aktivitäten gab.
„Die Besiedlung von unterschiedlichen und instabilen Umgebungen, auch nach vulkanischen Aktivitäten, ist eines der frühesten Beispiele für Anpassungen an einschneidende ökologische Veränderungen“, erklärt Pastory Bushozi von der Universität Dar es Salaam, Tansania.
Die Besiedlung sich verändernder und gestörter Umgebungen durch Frühmenschen ist für diesen frühen Zeitraum einzigartig und beweist komplexe Verhaltensanpassungen der frühen menschlichen Gruppen. Trotz der sich wandelnden Lebensräume änderten die frühen Menschen ihre Werkzeuge nicht grundlegend, ihre Techniken blieb über die Zeit gleich. Bezeichnend für ihre Vielseitigkeit sind die typischen Oldowan-Steinwerkzeuge, die aus Kiesel- und Geröllkernen sowie Steinsplittern und Mehrkantsteinen bestehen und auch weiterverwendet wurden, als sich die Lebensräume veränderten. Dies lässt darauf schließen, dass frühe Menschen schon vor zwei Millionen Jahren in der Lage waren, kontinuierlich und regelmäßig, eine Vielzahl von Lebensräumen zu nutzen und mithilfe zuverlässiger Steinwerkzeuge Pflanzen zu verarbeiten und Tiere zu schlachten.
In Ewass Oldupa wurden bislang noch keine menschlichen Fossilien entdeckt, doch nur 350 Meter entfernt wurden Fossilien von Homo habilis in 1,82 Millionen Jahren alten Ablagerungen gefunden. Ob Homo habilis sich tatsächlich in Ewass Oldupa aufhielt, lässt sich nur schwer belegen, aber Julio Mercader von der Universität Calgary betont, „dass diese frühen Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Landschaft großflächig durchstreiften und entlang der Ufer alter Seen zogen“. Wie Mercader anmerkt, schließe dies nicht die Möglichkeit aus, dass weitere Gruppen von Hominini, etwa aus der Gruppe der Australopithecina, ebenfalls Steinwerkzeuge in Ewass Oldupa herstellten und nutzten. So ist beispielsweise bekannt, dass die Gattung der Paranthropus zu dieser Zeit in der Oldupai-Schlucht lebte.
Die in der Oldupai-Schlucht und Ostafrika gewonnen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass frühe menschliche Mobilität vor zwei Millionen Jahren in und sogar außerhalb Afrikas möglich war, da die frühen Menschen die Fähigkeit besaßen, ihren Lebensraum auf neuartige Ökosysteme auszudehnen. „Diese Verhaltensflexibilität entstand mit dem Beginn der Evolution unserer eigenen Gattung, Homo, und bereitete den Weg für eine spätere, invasive Ausbreitung des Homo sapiens“, erklärt Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.
An der Studie beteiligt waren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universitäten Calgary, Manitoba, McMaster und Toronto (Kanada), der Universität Dar es Salaam und Iringa sowie des Ministeriums für natürliche Ressourcen und Tourismus (Tansania), dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, dem Institut Català de Paleoecologia Humana i Evolució Social und dem Madrid Institute for Advanced Study (Spanien). Sämtliche Institutionen arbeiteten eng mit der Tanzania Commission for Science and Technology, der Division of Antiquities (MNRT) zusammen und wurden durch das Canadian Social Sciences and Humanities Research Council gefördert. (Max-Planck-Institut)