
In einem gemeinsamen Statement fordern 32 Organisationen die sofortige Beendigung der systematischen Behinderung ziviler Seenotrettung durch die italienische Regierung. Allein im letzten Monat wurden nichtstaatliche Schiffe auf Basis des „Piantedosi-Dekrets“ dreimal festgesetzt – das von RESQSHIP betriebene Segelschiff Nadir zweimal hintereinander. Seit 2023 wurden 29 NGO-Schiffe festgesetzt, obwohl viele italienische Gerichte ihre Festsetzung als rechtswidrig eingestuft haben.
Die Organisationen kritisieren, dass das bewusste Fernhalten von nichtstaatlichen Such- und Rettungsorganisationen aus dem zentralen Mittelmeer zu unzähligen weiteren Todesfällen auf einer der tödlichsten Fluchtrouten weltweit führt.
Trotz viel öffentlicher Kritik durch nichtstaatliche Such- und Rettungsorganisationen (SAR) werden zivile Schiffe seit der Verabschiedung des „Piantedosi-Dekrets” im Januar 2023 weiterhin willkürlich festgesetzt. Diese Praxis wurde durch das „Flussi-Dekret” im Dezember 2024 weiter verschärft. Im letzten Monat wurden Nadir und Sea-Eye 5, zwei kleinere Einsatzschiffe, betrieben von RESQSHIP und Sea-Eye, unter dem Vorwurf festgesetzt, den Anweisungen der Behörden nicht Folge geleistet zu haben. Beiden Crews wurden sehr weit entfernte Häfen zugewiesen. Sie wurden außerdem dazu aufgefordert, die Geretteten nach Vulnerabilitätskriterien zu trennen und anteilig auf ein anderes Schiff zu bringen –obwohl eine ordnungsgemäße Vulnerabilitätsprüfung eine sichere Umgebung voraussetzt und nicht an Bord eines Schiffes durchgeführt werden kann.
„Diese rechtlichen und administrativen Hürden dienen einem offensichtlichen Ziel: zivile Rettungsschiffe aus ihren Einsatzgebieten fernzuhalten und ihre Such- und Rettungsaktivitäten auf See drastisch einzuschränken,“ kritisiert Janna Sauerteig, politische Expertin bei SOS Humanity.
„Ohne die Präsenz von nichtstaatlichen Schiffen und Flugzeugen werden mehr Menschen bei der Flucht über das zentrale Mittelmeer ertrinken und Menschenrechtsverletzungen sowie Schiffbrüche unbemerkt bleiben.“
Seit Februar 2023 wurden zivile Rettungsschiffe 29-mal festgesetzt. Das entspricht einer Zeit von insgesamt 700 Tagen, in denen sie sich in Häfen befanden, anstatt Leben auf See zu retten. Außerdem verbrachten die Schiffe zusätzlich 822 Tage auf See, um zu ungerechtfertigt weit entfernten Häfen zu gelangen, was einer Fahrleistung von 330.000 Kilometern entspricht. Die Praxis, Rettungsschiffe zu weit entfernten Häfen zu schicken, wurde nun auch auf kleinere zivile Schiffe ausgeweitet.
Darüber hinaus wenden Organisationen enorme Zeit und finanzielle Mittel auf, um gegen die restriktiven Gesetze Italiens und die willkürlich verhängten administrativen Festsetzungen und Geldstrafen vorzugehen.
In den vergangenen Monaten haben die nationalen Gerichte in Catanzaro, Reggio Calabria, Crotone, Vibo Valentia und Ancona Entscheidungen getroffen, in denen die Festsetzung von NGO-Rettungsschiffen für rechtswidrig erklärt und die damit verbundenen Geldstrafen aufgehoben wurden. Im Oktober 2024 ersuchte das Gericht von Brindisi das italienische Verfassungsgericht, die Vereinbarkeit des im Februar 2023 in Kraft getretenen „Piantedosi-Dekrets” mit der italienischen Verfassung zu prüfen. Am 8. Juli 2025 hat das Verfassungsgericht erneut festgestellt, dass das Seerecht nicht durch strafende und diskriminierende Vorschriften umgangen werden darf und dass jede entgegenstehende Anordnung als rechtswidrig und unzulässig anzusehen ist.
Unterlassene Hilfeleistung ist ein Verbrechen
Nach internationalem Seerecht ist jede*r Kapitän*in dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten. Ebenso ist jede staatliche Rettungsleitstelle gesetzlich verpflichtet, umgehend Rettungen einzuleiten und zu koordinieren. Den Beobachtngen der Organisationen nach handelt es sich jedoch um kein Staatsversagen, sondern systematische und vorsätzliche Rechtsverletzung : Rettungsleitstellen geben Informationen zu Seenotfällen nicht weiter, koordinieren Seenotfälle mit der sogenannten libyschen Küstenwache, die – sogar in maltesischen Gewässern – illegale Rückführungen durchführen, und lassen es zu, dass Frontex-Flugzeuge Schiffbrüche und gewaltsame Abfangmanöver beobachten, anstatt adäquate Rettung zu mobilisieren.
„Diese Praktiken stellen einen eklatanten Verstoß gegen das SOLAS-Übereinkommen, das SAR-Übereinkommen, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) und den Grundsatz der Nichtzurückweisung dar. Wenn Staaten Rettungsmaßnahmen behindern, anstatt sie zu ermöglichen, setzen sie Recht nicht durch, sondern verstoßen dagegen. Was wir brauchen, ist ein Europäisches Seenotrettungsprogramm und sichere und legale Fluchtwege“, fordert Janna Sauerteig.
Die Organisationen fordern die sofortige Aufhebung der „Piantedosi“- und „Flussi-Dekrete sowie die Freilassung des Beobachtungsschiffs Nadir. Darüber hinaus fordern sie, dass die EU-Mitgliedstaaten ihrer Pflicht zur Rettung von Menschen auf See nachkommen und das Völkerrecht einhalten. (PM SOS Humanity)
Unterzeichnende:
1. Association for Juridical Studies on Immigration (ASGI)
2. borderline-europe, Human rights without borders e.V.
3. Captain Support Network
4. Cilip | Bürgerrechte & Polizei
5. CompassCollective
6. CONVENZIONE DEI DIRITTI NEL MEDITERRANEO
7. EMERGENCY
8. European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)
9. Gruppo Melitea
10. iuventa-crew
11. LasciateCIEntrare
12. Maldusa project
13. Médecins Sans Frontières
14. MEDITERRANEA Saving Humans
15. MEM.MED Memoria Mediterranea
16. migration-control.info project
17. MV Louise Michel project
18. Open Arms
19. RESQSHIP
20. r42 Sail And Rescue
21. Refugees in Libya
22. Salvamento Marítimo Humanitario (SMH)
23. SARAH-Seenotrettung
24. Sea-Eye
25. Sea Punks e.V
26. Sea-Watch
27. SOS Humanity
28. SOS MEDITERRANEE
29. Statewatch
30. Tunisian Forum for Social and Economic Rights FTDES
31. United4Rescue
32. Watch the Med Alarm Phone