Buchtipp: Charline Effah – „Die Frauen von Bidi Bidi“

Buchtipp: Charline Effah – „Die Frauen von Bidi Bidi“

Die Hauptfigur des Romans ist Minga. Sie lebt mit ihrem Vater in Paris. Ihre Mutter verlässt sie, als sie acht Jahre alt ist – gedemütigt und wehrlos kann sie die brutalen Schläge ihres Mannes nicht länger ertragen. Mit Unterstützung ihrer Tochter flieht sie heimlich. Gemeinsam packen sie die wichtigsten Dinge zusammen: das Krankenschwester-Diplom, unentbehrliche Papiere und notwendige Kleidung. Um ihrer Mutter zu helfen, übergibt Minga ihr ihr erspartes kleines Vermögen.

Mit 23 Jahren verlässt Minga schließlich ihren Vater. Sie begibt sich auf die Suche nach ihrer Mutter – jedoch ohne Erfolg. Sie erfährt lediglich, dass diese weitergezogen ist, keine Adresse hinterlassen hat und nie von einem Kind gesprochen hat.

Nach dem Tod ihres Vaters findet Minga Briefe ihrer Mutter, die an sie gerichtet sind. Doch diese regelmäßigen Lebenszeichen sind ihr nie zugestellt worden.

Entschlossen, das Leben ihrer Mutter zu verstehen, ihre Gefühle und Gedanken über ihre Tochter nachzuvollziehen, macht sie sich auf den Weg nach Norduganda, in das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt. Von dort hat sie die Nachricht erhalten, dass es Spuren ihrer Mutter gibt.

Durch einen Brief ihrer Mutter begreift Minga, warum diese so lange im Flüchtlingscamp geblieben ist. Die Geschichten der geflüchteten Frauen, denen sie begegnet, erinnern sie an ihre eigenen Erlebnisse. Schuldgefühle, Frustration und Wut überkommen sie.

Mit Unterstützung findet Minga schließlich Zeugen, die mit ihrer Mutter gelebt haben. Sehr eindrücklich erfährt sie von den unendlichen Leidenswegen der Frauen im Flüchtlingscamp, von dem enormen Elend, das an diesem Ort herrscht. Gleichzeitig erlebt sie Momente der Menschlichkeit – leise Begegnungen, das Teilen von Freude und Trost.

Drei Freundinnen ihrer Mutter – Rose, Veronika und Jane – berichten ihr in zahllosen Gesprächen von der Annäherung, der langsamen Entwicklung gegenseitigen Vertrauens und der Bereitschaft, ihre Lebensgeschichten offenzulegen.

Mingas Mutter, Josephine, arbeitet als Krankenschwester. Dann erreicht Minga eine Nachricht von der Nichtregierungsorganisation, für die ihre Mutter tätig war: Josephine ist auf unerklärliche Weise ums Leben gekommen. Mit viel Geduld und Ausdauer gelingt es Minga, die Hintergründe des Todes aufzudecken.

Charline Effah gelingt es mit diesem Roman, den Stimmen von Frauen Gehör zu verschaffen, die mit Mut und Zuversicht ihren schwierigen Alltag immer wieder neu bewältigen.

Um authentisch über die Verhältnisse in diesem von verschiedenen Völkern geprägten Lager berichten zu können, reiste sie selbst nach Norduganda, um sich ein Bild von den Bedingungen in Bidi Bidi zu machen.

Mit akribischer Recherche bringt sie die Erfahrungen geflüchteter Frauen ans Licht und schildert eindringlich die vielen Formen von Gewalt in all ihren schwer erträglichen Schattierungen. Doch immer wieder zeigt sich auch die enorme Solidarität unter den Frauen – eine Kraft, die das Elend und die Verzweiflung auf mehrere Schultern verteilt.

Beim Lesen des Romans wird das Anliegen der gabunischen Autorin lebendig: Sie möchte vermitteln, was es bedeutet, unter Gewalt zu leiden und Unmenschliches ertragen zu müssen.

Die einfühlsamen Schilderungen lassen die Erzählung zu einer Geschichte der Suche und des Überlebens werden – und zu einer Hommage an die Fähigkeit, selbst unter widrigsten Bedingungen das Menschliche zu bewahren.

Ein sensibler, berührender und aktueller Roman, der angesichts der millionenfachen Vertreibungen von Frauen, Kindern und Männern auf der ganzen Welt von großer Bedeutung ist. (Theresa Endres)

Charline Effah

Die Frauen von Bidi Bidi
Übersetzung Ela zum Winkel
orlanda frauen weltkultur bewegung
ISBN 98 -3-949545-67-2
Euro 23,00