Buchtipp: Tade Thompson „Wild Card“ – ein Noir-Kriminalroman aus Afrika

Buchtipp: Tade Thompson „Wild Card" – ein Noir-Kriminalroman aus AfrikaDer britische Schriftsteller Derek Raymond hat einmal treffsicher geschrieben, dass es in Noir-Kriminalromanen nicht nur um Spannung und Plot-geladene Unterhaltung, um schwarz und weiß, sondern auch um die feinen Abstufungen dazwischen, über Moral und Unmoral, Gut und Böse, Gerechtigkeit und Unrecht, Zynismus und Melancholie, über Fressen – oder Gefressen-Werden geht.

Ich kenne nur wenige afrikanische Autoren wie Kwei Quartey oder Femi Kayode, die diese Art von Thriller schreiben. Der Nigerianer Tade Thompson hat mit „Wild Card“, 2021 bei Suhrkamp erschienen, einen weiteren derartigen Roman veröffentlicht. Thompson ist Yoruba, in London geboren, in Nigeria aufgewachsen und lebt heute an der englischen Südküste.

Die Bedrohung in dem fiktiven Land „Alcacia“ ist von allen Seiten gegenwärtig. Die große Stärke des Romans sind aber die alltagsnahen Einblicke (nicht nur) in die nigerianische Gesellschaft. Wer sich ein bisschen in Westafrika auskennt, weiß, dass Tade Thompson Zustände in Nigeria und angrenzenden Ländern beschreibt.

So erzählt er mit solider Ironie den Ablauf einer Beerdigung – wie ich sie auch in anderen Ländern Westafrikas erlebt habe: „Die Beerdigung: tränenreich, ein schrilles, tremolierendes Kreischen mit mächtigen wackelnden, halb entblößten Brüsten. Sie hatte einen Namen, den kannte ich aber nicht. Sie war eine professionelle Trauernde, die ihr beträchtliches Körpervolumen, ihre willentliche Tränensekretion und ihren einschüchternden Stimmumfang in den Dienst der emotional enthaltsameren Hinterbliebenen stellte. Die geladenen Gäste schlenderten umher und saßen auf Grabsteinen. Manche weinten leise für sich, was für Schwarzafrikaner unüblich war. Wir drücken unsere Emotionen offen aus, machen keinen Hehl aus unseren Gefühlen, kommunizieren sie mit anderen. Meine Tränen sind größer und besser als die deinen. Ich trauere mehr als du. Ich habe sie mehr geliebt als du.“

Oder über die in Nigeria allgegenwärtigen „Area Boys“: „Area Boys waren so etwas wie Allzweck-Gauner, jeder Privatunternehmer konnte sie mieten. Wollte man in Ruhe eine Party feiern, musste man sie mit Kohle, Essen und Alkohol ruhigstellen. Vor Wahlen wurden sie von Politikern angeheuert, damit sie den Wahlkampf des Gegners sabotierten. Weil die Opposition eigene Area Boys anheuerte, resultierte das gewöhnlich in prachtvollen Straßenkämpfen oder karnevalesken Drive-by-Shootings. Gelegentlich flippten sie auch einfach so aus und plünderten, vergewaltigten und töteten nach Lust und Laune.“

Die unmittelbare Familie: „Jeder Yoruba ist ja mit allen anderen verwandt, die Definition von Familie ist ziemlich breit gefasst.“

Und sein authentischer Blick auf die Korruption trägt in seiner Anschaulichkeit zum Lesevergnügen bei. Seine Beschreibung der Zustände im fiktiven Hafen des Landes kenne ich aus Conakry, Cotonou und Duala: „Der Hafen war eher ein Markt oder Basar. In der Ferne waren Schiffe zu sehen – zumindest ihre Radarmasten. Menschen wuselten darauf herum wie Ameisen auf einer Leiche. Überall Stahlcontainer, dazwischen Zollbeamte, allesamt übergewichtig, jeder einzelne von ihnen – vollgefressen mit den Bestechungsgeldern unzähliger Schmuggler und verzweifelter ehrlicher Geschäftsleute. Ich sah Kräne und Frachter, LKW und Area Boys und Verkäufer. Schmierige Typen, die herrenlose Container aufbrachen und den Inhalt billig an Spekulanten verscherbelten. Waren wurden unter dem Einkaufswert verhökert oder als Geschenk bei Großeinkäufen obendrauf gepackt.“

Über die zunehmende Piraterie im Golf von Guinea schreibt Thompson: „Es wird schwer sein, sie zum Aufgeben zu überreden, nachdem sie auf den Geschmack gekommen sind. Die Ölgesellschaften zahlen Lösegeld für die gekaperten Schiffe, weil es billiger ist, zwei Millionen für eine Zweihundert-Millionen-Dollar-Ladung rauszurücken. Das nennt man gutes kaufmännisches Denken, aber nur auf kurze Sicht. Man bekommt seinen Tanker wieder, belohnt und befördert damit aber die weitere Piraterie.“ (Das Jagdgebiet der Piraten hat sich vor einiger Zeit von den Gewässern am Horn von Afrika zum Golf von Guinea verlagert. Vor der Westküste des Kontinents, wo die Kriminellen bislang wenig Gegenwehr zu befürchten haben, hat die Freibeuterei erheblich zugenommen. Grund: Armut, politische Instabilität, fehlende Strafverfolgung und das Nigerdelta, das ein sicherer Zufluchtsort ist, haben dazu geführt, dass die Piratenangriffe anwachsen.)

Und schließlich noch ein Zitat für eine subtile Form von Korruption: „Die Reservation Area war nicht das, was der Name versprach. Von der Regierung als Naturschutzgebiet vorgesehen, um die dortige Flora und Fauna zu erhalten, diente es mittlerweile als Landabschnitt, in dem das Militär verdienten Speichelleckern Baugenehmigungen zuteilte, was nichts weiter war als eine Art Ablass für die Sünde, dass hier jungfräuliches Land geschändet wurde. Vom ursprünglichen Grün war nicht mehr viel übrig, wenn, dann existierte es noch als Farbanstrich an den Wänden. Da die Bebauung streng genommen illegal war, gab es keinerlei städtebauliche Planung, was zu offenen Rinnsteinen auf beiden Straßenseiten und einer völlig chaotischen urbanen Infrastruktur führte.“ Jetzt genug mit den Schmankerln aus dem wirklichen Leben in vielen Staaten des Kontinents.

Die Geschichte: Der Held des Romans, Weston Kogi, bekommt unfreiwillig den Auftrag, den Mord an einem Politiker aufzuklären, der zwischen zwei rivalisierenden Rebellengruppen vermittelt hat. Er handelt – wie üblich in den romans noirs oder hardboiled detective novels – selbst am Rande der Legalität und wendet auch einmal Gewalt an, um an Informationen zu kommen. Die meisten Charaktere, mit denen er zu tun hat, sind grausam und skrupellos. Er versucht alle gegeneinander auszuspielen und möchte nur unversehrt aus der Sache herauskommen. Wie alle Noir-Autoren interessiert sich Thompson mehr dafür, die Gesellschaft darzustellen, als dafür, am Ende der Ermittlungen einen Schuldigen gefunden zu haben.
Wen die ab und an derbe Sprache – ähnlich wie bei Yasmina Khadra und Robert B. Parker – und die mitunter brutalen Szenen nicht stören, findet vielleicht auch Gefallen an Tade Thompson. Jedenfalls ist das Buch nie langweilig.  (Volker Seitz, Botschafter a.D., Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 11. Auflage 2021)

Tade Thompson: Wild Card
Erscheinungstermin: 19.07.2021
Broschur, 329 Seiten
ISBN 978-3-518-47151-7
Suhrkamp Taschenbuch
10,95 Euro