
Marokko, laut UN der weltweit größte Produzent von Cannabis, will seinen traditionell illegalen und von Drogenhändlern dominierten Cannabissektor in eine legale Industrie für medizinisches Cannabis umwandeln – gesteuert von großen nationalen Unternehmen und dem Staat. Diese Umstrukturierung, die 2021 begann, nimmt 2025 mit beeindruckenden Produktionszahlen zunehmend Gestalt an.
Der marokkanische Cannabiskoloss: Schwindelerregende Zahlen
Marokko bleibt laut dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) der größte Cannabisproduzent der Welt – mit Anbauflächen zwischen 40.000 und 50.000 Hektar. Die geschätzte Jahresproduktion liegt bei rund 40.000 Tonnen – etwa einem Drittel der weltweiten Menge.
Etwa 10 % davon entfallen inzwischen auf legalen Anbau. In Nordmarokko, insbesondere in den Regionen Ketama und Chefchaouen, leben 90.000 bis 140.000 Menschen direkt vom Cannabisanbau. Einer der wenigen Berichte der UN aus dem Jahr 2003 schätzte die Einnahmen der Bauern auf 214 Millionen Dollar jährlich – während die Drogenkartelle bis zu 12 Milliarden Dollar einstrichen.
In Europa ist Cannabis nahezu gleichbedeutend mit marokkanischem Haschisch, das rund 80 % des Marktes abdeckt. Insgesamt soll Marokko etwa ein Drittel der weltweiten Cannabisproduktion stellen.
Die legale Revolution: Ein spektakulärer Wandel
Die Nationale Agentur zur Regulierung von Cannabisaktivitäten (ANRAC) erteilte 2024 insgesamt 3.371 Genehmigungen bei 4.158 Anträgen – eine extrem hohe Quote.
2.169 Hektar wurden 2024 legal bepflanzt, durch 2.647 Bauern in 189 Genossenschaften. Das zeigt, wie schnell sich traditionelle Anbauer auf den legalen Markt einstellen, unterstützt von neuen Firmen, die in diese wachsende Branche einsteigen. Die legale Produktion erreichte im selben Jahr 4.000 Tonnen bei einem Durchschnittsertrag von 18,4 dt/ha (Dezitonnen pro Hektar).
„Beldia“ – Nationalstolz und strategischer Trumpf
Die lokale Sorte „Beldia“, die seit Jahrhunderten im Rif-Gebirge angebaut wird, steht im Zentrum eines speziellen Programms. In Zusammenarbeit mit dem Afrikanischen Genomzentrum der UM6P wird sie genetisch charakterisiert – mithilfe modernster Sequenzierungstechnologien. Ziel ist es, die Herkunft und Qualität dieser endemischen Pflanze zu sichern und durch ANRAC zu schützen.
„Beldia“ lieferte im Schnitt 17 Dezitonnen pro Hektar, während importierte Sorten auf 28 Dezitonnen kamen (auf 468 ha). Dennoch wird „Beldia“ bevorzugt, da sie deutlich weniger Wasser und Dünger benötigt, sechs Wochen früher blüht und – wegen ihres THC-Gehalts von über 1 % – ausschließlich für pharmazeutische Zwecke eingesetzt wird.
Die marokkanische Pharmaindustrie greift ein
ANRAC und die Universität Mohammed VI Polytechnique haben ein Rahmenabkommen unterzeichnet, um die Forschung im Bereich medizinisches Cannabis voranzutreiben. Auch mit der Universität Abdelmalek Essaâdi wurde eine Partnerschaft zur Förderung von medizinischen, pharmazeutischen und industriellen Anwendungen geschlossen.
Pharma 5, führender Pharmakonzern Marokkos, präsentierte 2024 das erste generische Medikament auf Cannabisbasis – zur Behandlung therapieresistenter Epilepsie. Rund 10.000 Marokkaner könnten davon profitieren. Mit einem Gesamtinvestment von 250 Millionen Dirham, davon ein Drittel bereits eingesetzt, wurde zudem ein Werk nach internationalen Standards errichtet.
Riesige wirtschaftliche Perspektiven
Laut Mohamed El Bouhmadi, Präsident der marokkanischen Föderation der pharmazeutischen Industrie (FMIIP), könnte der therapeutische Cannabissektor bis 2028 zwischen 4,2 und 6,3 Milliarden Dirham pro Jahr einbringen – sofern Marokko 10–15 % des europäischen Marktes erreicht. Das Innenministerium geht sogar von möglichen Exporteinnahmen in gleicher Höhe – aber in Dollar – aus.
2024 exportierte Marokko erstmals legal produziertes Cannabis – etwa 100 kg. Diese für medizinische Zwecke bestimmte Harz wurde zu Preisen von 1.400 bis 1.800 Euro/kg verkauft, Zielmarkt: die Schweiz.
Der Regulator nahm an drei internationalen Messen teil: „Cannabis Europa“ in London, „Montreal Cannabis Expo“ und „Cannafest“ in Prag.
Vom Illegalen zum Legalen: Der große Wandel im Rif
Im August 2024 begnadigte König Mohammed VI. insgesamt 4.831 Bauern, die wegen illegalem Cannabisanbau verfolgt oder verurteilt worden waren. Ziel: ihnen die Integration in die neue legale Branche zu ermöglichen.
Pharma 5 verfolgt dabei einen sozial verantwortlichen Ansatz und bindet gezielt Bauern aus dem strukturell benachteiligten Rif-Gebiet ein. Das Modell soll für eine gerechtere Einkommensverteilung sorgen.
Die medizinische Forschung befasst sich seit den 1960er-Jahren mit dem therapeutischen Potenzial von Cannabis. Inzwischen wurde medizinisches Cannabis in rund 50 Ländern legalisiert, der Markt wächst rasant.
Cannabis wird u. a. bei folgenden Erkrankungen eingesetzt: Chronische Nervenschmerzen, Epilepsie (insbesondere CBD bei bestimmten Formen), Multiple Sklerose (Schmerz und Spastik), Krebs (Übelkeit, Schlafstörungen, Palliativversorgung). Zudem werden neue Cannabinoide wie THCP, THCV oder H4CBD erforscht, die jeweils eigene therapeutische Vorteile versprechen.
Ziele für 2025
Für 2025 hat sich ANRAC klare Ziele gesetzt:
– Die Branche weiter strukturieren,
– Kleinbauern besser begleiten,
– Zugang zu nationalen und internationalen Märkten erleichtern,
– Schulungen und Finanzierung sicherstellen,
– Cannabis-Derivate aufwerten.
Mit seiner Führungsrolle in der globalen Cannabisproduktion wandelt Marokko seinen traditionellen Sektor zu einer modernen, staatlich regulierten Industrie – mit hohen Einnahmen und sozialem Wandel. Bereits 5.000 Bauern konnten aus der Illegalität in die Legalität wechseln.
Durch die Aufwertung der „Beldia“-Sorte, innovative Forschungspartnerschaften und die ersten Medikamente „Made in Morocco“ etabliert sich das Königreich als zentrale Kraft in der pharmazeutischen Cannabisindustrie des 21. Jahrhunderts. (Quelle: afrik.com)