Madagaskars bedrohte Lemuren: „Unser Verhalten entscheidet, welche Arten überleben werden – und welche nicht“

Madagaskars bedrohte Lemuren: „Unser Verhalten entscheidet, welche Arten überleben werden – und welche nicht“
Aye-Aye. Foto: André Binotto

Ein madagassisch-deutsches Forschungsteam untersucht Lemuren in den Regenwäldern Madagaskars. Das Fingertier oder Aye-aye gilt als Unheilsbringer. Der Biologe Dr. Torsten Richter von der Universität Hildesheim und der Hildesheimer Doktorand Dominik Schüßler zeigen in einer Untersuchung am Beispiel des Aye-aye hingegen, wie Bildungsarbeit dazubeitragen kann, bedrohte Tierarten zu schützen. Das Überleben vieler Tierarten – gerade auch solcher, die als problematisch wahrgenommen werden – hängt ab vom Umgang und von der Akzeptanz der Menschen, die mit den Tieren zusammenleben. Biologen der Universität Hildesheim erforschen Lebensräume, die sich bedrohte Tierarten und Menschen teilen.

Zusammen mit einem madagassischen Forschungsteam untersuchen Dr. Torsten Richter, Biologe der Universität Hildesheim, und der Hildesheimer Doktorand Dominik Schüßler das Zusammenleben von Mensch und Tieren in geteilten Lebensräumen am Beispiel des Aye-ayes (Daubentonia madagascariensis). Das Aye-aye, auch als Fingertier bekannt, ist eine Primatenart aus der Gruppe der Lemuren.

Die aktuellen Erkenntnisse hat das internationale Forschungsteam in dem interdisziplinären Journal der Britisch Ecological Society „People and Nature“ veröffentlicht (https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/pan3.10192).

Dr. Torsten Richter konzentriert sich in seiner Forschung auf Lebensräume, die sich bedrohte Tierarten und Menschen teilen. Bedeutsam sind in diesem Zusammenwirken die Kultur und Traditionen, der Umgang und die Akzeptanz.

„Uns haben die positiven Einstellungen zum Aye-aye sehr überrascht. Vorher kannte man nur die vielen schrecklichen Erzählungen über das Aye-aye als Unheilsbringer und Todesboten, die oft genug zum Tod der Aye-ayes führten und das Überleben der Art gefährden. Mit den neuen Erkenntnissen ergeben sich auch neue Chancen, durch Bildungsarbeit zum Überleben dieser immer noch sehr geheimnisvollen Art beizutragen. Mit unseren madagassichen Partnern arbeiten wir bereits an ersten Konzepten“, fasst Dr. Torsten Richter, Senior Researcher an der Universität Hildesheim, die Forschungserkenntnisse zusammen.

„Das Aye-aye ist eine der geheimnisvollsten Lemurenarten und durch sein bizzares Aussehen auch in der westlichen Welt durchaus bekannt. Das Aye-aye gilt auf Madagaskar vielerorts als Unglücksbote und wird deshalb getötet, wenn man es antrifft, um großen Schaden vom Dorf abzuhalten. Das ist eine der Haupttodesursachen des Aye-ayes und bedroht dessen Überleben. Unsere Forschungsergebnisse aus dem Nordosten Madagaskars haben aber ein differenzierteres Bild ergeben: In einigen Dörfern haben die Menschen eine neutrale, zuweilen sogar positive Einstellung zum Aye-aye“, erläutert der Biologe Dr. Torsten Richter.

Eine positive Einstellung zum Aye-aye existiert vor allem dort, wo die Menschen beobachtet haben, dass das Aye-aye als Insektenfresser auf Nelkenbäumen Schädlinge frisst und somit eine Ökosystemleistung für die Menschen erbringt. Der Nelkenanbau ist eine wichtige Einnahmequelle in der Region, so Richter.

„Letztlich entscheiden unsere Einstellungen und unser Verhalten, welche Arten überleben werden und welche nicht“, sagt Dr. Torsten Richter. „Wir verstehen inzwischen, dass das Überleben vieler Tierarten, gerade auch solche, die als problematisch wahrgenommenen werden, vom Umgang und von der Akzeptanz der Menschen, die mit den Tieren zusammenleben, abhängt. Also letztlich von psychologischen und sozialen Faktoren und weniger von der Biologie der Tiere.“

Torsten Richter forscht seit vielen Jahren zur Akzeptanz von Tierarten. Am Beispiel der Rückkehr der Wölfe in der deutschen und niedersächsischen Kulturlandschaft untersucht der Biologe den von Menschen und Wildtieren geteilten Lebensraum und die soziale Tragfähigkeit. Eine Forschungsfrage ist, „wie viele Wölfe wir Menschen mit uns zusammen in unserem Lebensraum leben lassen und ob diese Zahl an Tieren und der Platz, den wir Menschen ihnen zugestehen, ausreicht, um ihr Überleben zu sichern“.

Interdisziplinäre Forschung
„Wir kombinieren in unserer Forschung die Expertise aus verschiedenen Bereichen. Der Erstautor des aktuellen Papers, Doménico Randimbiharinirina, ist ein Experte für die Ökologie des Aye-ayes und hat die Datenaufnahme im Feld geplant und die Interviews durchgeführt. Ich habe mich mit der Datenanalyse und dem Zusammenfügen der einzelnen Disziplinen befasst, die Interviews übersetzt und die Datenaufnahme mit Torsten Richter geplant“, erläutert Dominik Schüßler, Doktorand in der Abteilung Biologie der Universität Hildesheim.

Das Forschungsteam wurde ergänzt durch die Expertise von Dr. Brigitte Raharivololona, eine Expertin für Aye-ayes und Fachfrau für Primatologie in Madagaskar, sowie Dr. Jonah Ratsimbazafy, ein Experte für Primatologie und den Schutz von Lemuren, der als externer Dozent bereits an der Universität Hildesheim gelehrt hat. (idw)