Rede von Außenministerin Annalena Baerbock in der Bundestagsdebatte zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA): „Wir schlafen nicht, wir haben Angst“, das waren die Worte, die uns, die Kolleginnen und Kollegen, die mich auf der Reise nach Mali begleitet haben, als Allererstes gesagt wurden, als wir bei 45 Grad im Schatten zusammensaßen in Gao, wo wir unsere dort stationierten Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von MINUSMA besucht haben.
„Wir schlafen nicht, wir haben Angst, weil wir kaum sicher sind, dass wir morgen noch auf den Markt gehen können.“ „Wir schlafen nicht, wir haben Angst, weil unsere Kinder nicht mehr wirklich sicher zur Schule gehen können.“
– Diese Frauen, diese Männer, diese Väter, diese Mütter fürchten sich vor terroristischen Schergen, die in den Dörfern in der dortigen Region Angst und Schrecken verbreiten. Wir haben gemeinsam die Menschen dort vor Ort gefragt: Was braucht ihr als Allerwichtigstes? – Die Antwort kam sofort: Sicherheit. Sicherheit. Sicherheit.
Und genau darum geht es bei diesem MINUSMA-Mandat.
Es geht auch um unsere eigene Sicherheit, weil wir nicht wollen, dass im Sahel Rückzugsräume für international vernetzte Terrororganisationen entstehen, für Organisierte Kriminalität.
Denn wir wissen: Wenn sich MINUSMA aus Mali zurückziehen würde, dann würde das Vakuum noch mehr von anderen Kräften gefüllt. Das gilt für islamistische Kämpfer, aber das gilt eben auch für russische Kräfte. Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch malische und russische Truppen, die wir in den Zeitungen hier lesen und natürlich auch vor Ort gehört haben, sind furchtbar. Sie zeigen auf ganz deutliche Weise, worum es hier für uns auch geht, nämlich uns gemeinsam mit den Menschen vor Ort diesen Kräften entgegenzustellen, die nichts auf Menschenrechte geben, nichts auf Demokratie und nichts auf eine regelbasierte Ordnung.
Auch deswegen – davon bin ich zutiefst überzeugt – müssen wir hier engagiert bleiben, gerade jetzt in diesem Moment, wo Russland seinen grausamen Krieg in der Ukraine führt.
Wir sagen eben nicht (- ja, das ist eine politische Entscheidung -): Wir konzentrieren uns nur noch auf das, was vor unserer eigenen Haustür passiert, was unglaublich wichtig ist, sondern ganz im Gegenteil: Genau in diesem Moment nehmen wir weiter unsere Verantwortung in der Welt wahr. Gerade jetzt! Auch das ist die Botschaft, die wir mit der Unterstützung dieses MINUSMA-Mandats senden.
Deutschland ist der größte westliche Truppensteller in Mali. Wir bringen dort Fähigkeiten ein, die andere Beteiligte praktisch nicht ersetzen können: Heron-Drohnen, Transporthubschrauber. Wir sind in Gao Anlehnnation für Belgien, Estland, Irland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz. Das heißt: Die Soldatinnen und Soldaten aus diesen Ländern sind auch auf unseren Schutz und die Unterstützung der Bundeswehr angewiesen. Würden wir uns heute entscheiden, diesem Mandat nicht zuzustimmen, hieße das, dass wir uns eben auch aus dieser Verantwortung gegenüber den anderen zurückziehen. Ich glaube, dann droht ein Dominoeffekt, der die Mission im Ganzen schwer treffen würde, und zwar nicht nur die westlichen Truppensteller, sondern dann auch – das ist ja ein breite UN-Mission – die Truppensteller aus Bangladesch, Sri Lanka, Niger oder dem Senegal.
Als wir dann gemeinsam weitergereist sind in den Niger, haben wir gesehen, dass das auch Effekte auf dieses Land und seine demokratische Regierung hätte.
Es stimmt – das möchte ich hier ganz offen und deutlich sagen; denn von Schönrednerei halte ich nichts, erst recht nicht bei Mandaten -: Die Situation in Mali ist alles andere als einfach. Auch das haben wir gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen, die mit dabei waren, dort vor Ort in Bamako erlebt. Ich habe deswegen dem Übergangspräsidenten Goïta und dem Außenminister Diop dieser Putsch-Regierung sehr, sehr deutlich gemacht: Der Übergang zu einer gewählten Regierung darf nicht weiter verschleppt werden. Das fordern wir nicht nur von europäischer Seite, sondern gemeinsam mit ECOWAS und dem VN-Sicherheitsrat.
Ich möchte hier allerdings ganz deutlich sagen: Diese MINUSMA-Mission sichert nicht die malische Regierung ab. Der Einsatz unterstützt die malische Bevölkerung: Menschen, die auf den Markt gehen wollen, Kinder, die endlich wieder in die Schule wollen.
Natürlich wissen wir, dass es für Stabilität mehr braucht als Militär. Diese Mission allein wird nicht für Stabilität sorgen. Aber andersherum gilt eben auch: Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit, ohne dieses Mindestmaß an militärischem Schutz wird es eine politische Arbeit gerade auch von der internationalen Gemeinschaft dort kaum weiter geben können.
Das hieße dann auch, dass unser Engagement im Dialogprozess in den Regionalkommunen vor Ort, gerade auch im medizinischen Bereich, im Klimaschutzbereich, im Menschenrechtsbereich so nicht weitergehen könnte.
Daher betrachten wir die Lage so, wie sie ist: kompliziert, komplex. Aber wir stellen uns dieser Herausforderung.
Die Verteidigungsministerin und ich haben deswegen auch gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und unseren Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern deutlich gemacht, dass wir, nachdem die französischen Kollegen jetzt angekündigt haben, ihre Unterstützungsleistung im Herbst wahrscheinlich zurückzufahren, bis dahin Ersatz für die Kampfhubschrauber brauchen.
Wir als deutsche Bundesregierung schlagen in dem Mandat vor, dass wir personell von 1 100 Soldaten auf 1 400 aufstocken und technisch vor allen Dingen den Flughafenbetrieb weiter unterstützen; denn natürlich gilt die Verantwortung für Sicherheit nicht nur den Menschen vor Ort, sondern auch unseren Soldatinnen und Soldaten. Deswegen sagen wir in diesem Mandatstext auch sehr deutlich: Wenn der Schutz für deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht mehr ausreichend gewährleistet werden könnte, dann werden wir natürlich unseren Beitrag anpassen und, wenn nötig, auch beenden.
Ja, diese Mandatsentscheidung ist schwieriger als vor einem Jahr. Ich glaube aber, sie ist auch wichtiger als vor einem Jahr.
Wir möchten die deutliche Botschaft setzen: Deutschland zieht sich in der Welt nicht zurück. Trotz und gerade wegen des Krieges in der Ukraine bleiben wir international im Rahmen der Vereinten Nationen engagiert. Wir überlassen die internationale Ordnung nicht denjenigen, die keine menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Skrupel haben. Wir zeigen Flagge für die Sicherheit der Menschen in Mali und für unsere gemeinsame internationale Sicherheit.
Herzlichen Dank. Ich bitte um Unterstützung dieses Mandates.