
Auf TikTok boomt ein neuer Trend: In Livestreams bringt ein marokkanischer „Fkih“ Männer und Frauen zusammen, die sich zuvor nie begegnet sind. Ziel ist es, sich kennenzulernen und – bei gegenseitigem Interesse – zu heiraten. Vor Tausenden Zuschauern moderiert der Fkih die Gespräche, achtet auf respektvolle Kommunikation und schließt gelegentlich mit einem religiösen Gebet („Fatiha“) ab.
Traditionell ist der Fkih eine religiöse Autorität, die lehrt und Ehen im Rahmen islamischer Vorschriften schließt. In den sozialen Medien übernimmt er nun zusätzlich die Rolle des Heiratsvermittlers – mitten im digitalen Rampenlicht.
Diese ungewöhnlichen Begegnungen spiegeln gesellschaftliche Veränderungen in Marokko: Immer mehr junge Menschen heiraten später, oft fehlt die familiäre Unterstützung bei der Partnersuche. Der Soziologe Chakib Guessous sieht darin eine Reaktion auf den wachsenden Individualismus und die schwindende Rolle traditioneller Heiratsmodelle. Viele suchten dennoch nach religiös legitimierten Wegen für Partnerschaft und Sexualität, so Guessous.
Die Live-Vermittlungen polarisieren: Für die einen bieten sie einen „halalen“ und öffentlichen Rahmen jenseits anonymer Dating-Apps, für andere sind sie eine problematische Kommerzialisierung des Ehegeschäfts und eine bedenkliche Vermischung von Religion und Unterhaltung. Kritiker werfen den Vermittlern vor, durch Spenden, TikTok-Geschenke und Klickzahlen finanziell zu profitieren.
Während die ethische Debatte andauert, bleibt das Phänomen beliebt: Eine eigenwillige Mischung aus Tradition, Glaube und digitalem Spektakel. (Quelle: lematin.ma)