Tschad: Hartes Durchgreifen gegen Oppositionelle vor Wahlen

Tschad: Hartes Durchgreifen gegen Oppositionelle vor Wahlen
© White House (Amanda Lucidon)

Die tschadischen Sicherheitskräfte sind im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 11. April 2021 rücksichtslos gegen Demonstrierende und politische Oppositionelle vorgegangen und haben damit das Recht der Menschen im Tschad verletzt, ihre politischen Vertreter*innen frei zu wählen, so Human Rights Watch. Idriss Déby Itno (Foto), der amtierende tschadische Präsident, der das Land seit dem Sturz seines autokratischen Vorgängers Hissène Habré im Dezember 1990 regiert, kandidiert für eine sechste Amtszeit.

Seit vergangenen Februar hat ein Bündnis aus Nichtregierungsgruppen, Gewerkschaften und Oppositionsparteien friedliche Demonstrationen in der Hauptstadt N’Djamena und anderen Städten des Landes organisiert, obwohl die Regierung öffentliche Versammlungen verboten hat. Augenzeug*innen zufolge schlugen Angehörige der Sicherheitskräfte Protestierende mit Peitschen, Knüppeln und Schlagstöcken, zogen einen Verwundeten aus einem Auto und schlugen andere Insassen, verhafteten zahlreiche Menschen willkürlich und töteten bei einem Angriff auf das Haus eines Oppositionsführers dessen Mutter. Ein Demonstrant erklärte, man habe ihm im Gefängnis Elektroschocks zugefügt.

„Viele Tschader*innen gehen mutig auf die Straße, um friedlich einen Wandel und die Achtung ihrer Grundrechte einzufordern. Doch die Reaktion der tschadischen Behörden war, andere Meinungen und die Hoffnung auf eine faire oder glaubwürdige Wahl zu unterdrücken“, so Ida Sawyer, stellvertretende Afrika-Direktorin bei Human Rights Watch. „Die Behörden sollten die Meinungs- und Versammlungsfreiheit respektieren, dafür sorgen, dass die Polizei bei Protesten der Opposition Zurückhaltung übt, und den tödlichen Angriff auf die Familie eines Oppositionsführers und andere Vorwürfe von Misshandlungen dringend untersuchen.“

Human Rights Watch führte zwischen dem 22. und 30. März telefonische Interviews mit 24 Menschenrechtsaktivist*innen, Demonstrierenden, führenden Kräften und Mitgliedern von Oppositionsparteien, Anwält*innen und Journalist*innen und hat Videos und Fotos sowie die Berichterstattung von Medien und nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen untersucht. Am 7. April sprach Human Rights Watch mit dem Justizminister des Tschad, Djimet Arabi, der erklärte, dass die Sicherheitskräfte bei der Überwachung der Proteste mit „Professionalität“ vorgegangen seien. Weiterhin sei es ihre Aufgabe, Demonstrationen aufzulösen, die verboten sind und bei denen es in der Vergangenheit „vereinzelt zu Gewalt und öffentlicher Unruhe kam, zum Beispiel als Demonstrierende Reifen auf verschiedenen Straßen in Brand setzten“.

Human Rights Watch stellte fest, dass die Sicherheitskräfte am 6. Februar, 15. Februar, 20. März und 27. März Tränengas einsetzten, um friedliche Demonstrierende in N’Djamena auseinanderzutreiben und dabei Dutzende von ihnen sowie Umstehende verletzten. Außerdem wurden mindestens 112 Mitglieder und Anhänger*innen der Oppositionsparteien sowie Aktivist*innen der Zivilgesellschaft willkürlich festgenommen, einschließlich heftiger Prügelattacken und anderer Misshandlungen. Bei einem gewaltsamen Angriff auf das Haus des Oppositionsführers und Präsidentschaftskandidaten Yaya Dillo am 28. Februar töteten Sicherheitskräfte dessen 80-jährige Mutter und verletzten fünf weitere Familienmitglieder.

In einer Erklärung vom 28. Februar gab Kommunikationsminister Chérif Mahamat Zene bekannt, dass der Zweck der Razzia darin bestanden habe, Dillo zu verhaften, der zwei gerichtlichen Vorladungen nicht nachgekommen sei. Er erklärte, dass Dillo „bewaffneten Widerstand leistete“ und dass bei dem Kampf zwei Menschen getötet und fünf weitere verletzt wurden, darunter drei Mitglieder der Sicherheitskräfte. Die Zeug*innen, mit denen Human Rights Watch sprach, weisen diese Darstellung zurück und versichern, es habe keinen bewaffneten Widerstand durch Dillo oder seine Familie gegeben.

Die Demonstrierenden erklärten Human Rights Watch gegenüber, ihr Protest ziele auf einen politischen Wandel und ein Ende der sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten ab. Sie verwiesen auf die alarmierenden Armutsraten, die trotz der enormen Ölvorkommen des Landes fortbestehen. Im Human Capital Index der Weltbank für das Jahr 2020 steht der Tschad auf dem letzten Platz und auch im Human Development Index für das Jahr 2020, der über das Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen veröffentlicht wird, steht der Tschad auf Platz 187 von 189 Ländern.

„Wir sind eine ölreiche Nation, aber die Bevölkerung ist aufgrund des Ressourcenmissbrauchs weiterhin bitterarm.“, so Mahamat Nour Ibedou, ein bekannter Menschenrechtsverteidiger, gegenüber Human Rights Watch. „Es gibt eine extrem reiche Elite, die aus einigen wenigen Leuten besteht, die der Regierung nahestehen, und dann gibt es eine ganze Bevölkerung, die ums Überleben kämpft, unter katastrophalen Bedingungen lebt und nur einmal am Tag isst.“

Siebzehn Kandidat*innen haben ihre Unterlagen für die Präsidentschaftswahlen eingereicht. Am 3. März erklärte der Oberste Gerichtshof des Tschad, dass nur zehn zugelassen wurden und lehnte die restlichen mit der Begründung ab, dass ihre Parteien nicht „rechtmäßig konstituiert“ seien.

Nach dem tödlichen Überfall auf Dillos Haus zogen einige der verbliebenen Kandidat*innen ihre Kandidatur zurück, darunter Saleh Kebzabo, Vorsitzender der Oppositionspartei Nationale Union für Demokratie und Erneuerung (Union nationale pour la démocratie et le renouveau, UNDR), der ein „Klima der Unsicherheit und Militarisierung der politischen Szene“ anprangerte und zum Boykott der Wahlen aufrief. Dillo, dessen Kandidatur nicht angenommen wurde, ist untergetaucht, nachdem sein Haus angegriffen wurde.

Die Oppositionsparteien haben die Regierung beschuldigt, die Covid-19-Verordnungen dafür zu nutzen, ihre Kampagnen zu blockieren und politische Versammlungen zu verbieten, zum Beispiel durch die Verhängung eines äußerst strengen Lockdowns in N’Djamena vom 1. Januar bis zum 10. März 2021.

 

„Die Behörden haben die Pandemie als Vorwand benutzt, um die politische Opposition zu unterdrücken“, sagte Mahamat Ahmat Lazina, Vorsitzender der Oppositionspartei Nationale Bewegung für einen Wandel im Tschad (Mouvement National pour le Changement au Tchad, MNCT), gegenüber Human Rights Watch. „Sie haben den Lockdown nicht etwa verhängt, weil sie sich um die Gesundheit der Menschen sorgten, sondern weil sie die Oppositionsparteien daran hindern wollten, Unterstützung zu mobilisieren. Wie wir gesehen haben, reiste Präsident Déby in sämtliche Provinzen des Tschads und hielt Versammlungen mit Hunderten von Menschen ab, während wir gezwungen waren, zu Hause zu bleiben.“

Der Einsatz von exzessiver Gewalt durch die Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende verletzt nicht nur deren Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, sondern ist auch ein Verstoß gegen das absolute Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung sowie der Folter.

Die tschadische Regierung sollte die Polizei und die Gendarmerie anweisen, sich an die UN- Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schußwaffen durch Beamte mit Polizeibefugnissen zu halten sowie an die Richtlinien der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker zur Überwachung von Versammlungen in Afrika. Nach diesen Grundsätzen dürfen Vollzugsbeamt*innen nur dann Gewalt anwenden, wenn dies unbedingt notwendig ist und nur in dem Umfang, der zur Erreichung eines legitimen polizeilichen Ziels erforderlich ist. Alle, die nicht in Übereinstimmung mit diesen Prinzipien handeln, sollten zur Rechenschaft gezogen und angemessen bestraft werden.

„Menschenrechtsverletzungen und die Verweigerung von Grundfreiheiten haben die Glaubwürdigkeit der bevorstehenden Wahlen im Tschad untergraben“, erklärte Sawyer. „Die internationalen Partner des Tschads sollten die Augen nicht vor den Verstößen verschließen, sondern die Regierung dazu drängen, die Versammlungsfreiheit zu respektieren, der Gewalt durch Sicherheitskräfte Einhalt zu gebieten und Verstöße strafrechtlich zu verfolgen.“ (HRW)