Tunesien: Verfassungsreferendum könnte Weg zum autokratischen Präsidialsystem ebnen

Tunesien: Verfassungsreferendum könnte Weg zum autokratischen Präsidialsystem ebnen„Mit großer Sorge blicken wir auf die an diesem Dienstag veröffentlichte Prognose über das Ergebnis des tunesischen Verfassungsreferendums. Die geringe Wahlbeteiligung spiegelt eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung wider. Als fair und frei kann das Referendum nicht gelten – der Entstehungsweg des Verfassungsentwurfs war hochproblematisch, dem Referendum und der Entlassung des Parlaments fehlt jegliche verfassungsrechtliche Grundlage“, schreibt Tobias B. Bacherle (GRÜNE), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

„Dass Präsident Kais Saied den Jahrestag seiner Machtausweitung am Montag für das Referendum nutzt, verhöhnt alle demokratischen Bemühungen des tunesischen Volkes.

Der undemokratische und exklusive Prozess, in welchem die Verfassung ausgearbeitet wurde, ist klar zu verurteilen. Wir schließen uns hier der Kritik vieler tunesischer Stimmen an – selbst der Jurist Sadok Belaid, der eine erste Version des Verfassungsentwurfs für Saied erstellt hatte, distanziert sich mittlerweile klar von der politischen Richtung des tunesischen Verfassungsentwurfs.

Die Verfassung von Präsident Saied wurde hinter verschlossenen Türen und zu großen Teilen im Alleingang des Präsidenten verfasst. Parlament, Opposition und Zivilgesellschaft waren aus dem Prozess ausgeschlossen, kritische Stimmen werden unterdrückt. Dies sind weitere verheerende Schritte in Richtung Aushöhlung der Demokratie in Tunesien.

Die neue Verfassung ist als demokratiefeindlich einzustufen. Wenn sich die Prognose bestätigt, ebnet sie den Weg für Saied, seine Vision eines autokratischen Präsidialsystems und seine endgültige Machterweiterung weiter zu etablieren und steht diametral zur progressiven Verfassung von 2014. Wesentliche Grundpfeiler einer Demokratie wie ein funktionierendes, starkes Parlament mit Budgethoheit, eine unabhängige Justiz sowie Presse- und Meinungsfreiheit werden mit Füßen getreten.

Wir blicken zudem mit großer Sorge auf die in der Verfassung verankerte Bezeichnung Tunesiens als Teil der islamischen Umma und den konservativen Bezug auf den Islam. Es gilt, die Religionsfreiheit in Tunesien zu schützen. Die Fortschritte für religiöse Minderheiten, nicht-religiöse Menschen, säkulare Gruppen sowie LSBTQI*+ Personen und Frauen dürfen mit dem Verfassungsreferendum nicht zurückgedreht, sondern müssen weiter gestärkt werden. Umso dringender braucht es unsere Solidarität für weiterhin gestärkte Räume der demokratischen Teilhabe für alle Teile der Gesellschaft.“