Volker Seitz*: Einige ganz persönliche Afrika-Literaturempfehlungen – Teil II

Volker Seitz*: Einige ganz persönliche Afrika-Literaturempfehlungen – Teil IIBücher, Kunst und Filme aus Afrika bilden eine Verständnisbrücke. Lebens-, Denk- und Verhaltensweisen kann man nur durch längere Aufenthalte ergründen. Auf der Suche nach Erklärungen für gesellschaftliche Entwicklungen können aber auch Literatur, Kunst und Filme helfen.

Tendai Huchu: Der Friseur von Harare, Hammer, 2011: In vielen Staaten müssen über 80 Prozent der Bevölkerung in der informellen Wirtschaft als Kleinunternehmer, Handwerker, Hausierer und Straßenhändler über die Runden kommen. Er eine Straßenszene: „Straßenverkäufer boten Freezits (Plastiktüten mit eingefrorenem Fruchtsaft als Eis) und Maputi (Popcorn), gegrillte Maiskolben, Obst, Eier und Gemüse feil. Das Angebot schien die Nachfrage zu übersteigen. Weil’s keine Arbeit gab, versuchte jeder irgendwie über die Runden zu kommen, indem er irgendwas verkaufte. Vor beinahe jedem zweiten Hauseingang stand ein Holzverschlag: ein Kiosk, kaum komfortabler als die klapprigen Tische, die Bauchläden oder die improvisierten Verkaufsstände der fliegenden Händler. In jedem solchen Kiosk saß ein junges Familienmitglied und starrte Löcher in die Luft, weil Kundschaft sich nur höchst selten einfand.“

Adaobi Tricia Nwaubani: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy“, dtv 2011 (leider nur noch antiquarisch)
Die nigerianische Schriftstellerin thematisiert mit pfiffigem Witz den Vorschussbetrug durch die Nigeria Connection in ihrem Roman. Der Onkel des Erzählers verkörpert das Klischee des afrikanischen Neureichen, der durch schmutzige Geschäfte und Korruption mächtig geworden ist und zur Krönung seiner Gier in die Politik strebt. „Anfangs tat ich mich schwer damit – mir Räuberpistolen aus den Fingern zu saugen, in denen jedes Wort gelogen war, ‚ist‘ und ‚war‘ eingeschlossen, oder SOS-E-Mails um die Welt zu schicken und zu hoffen, dass jemand anbiss und antwortete. Aber meine Bedenken waren vermutlich gegenstandslos. Hinter den Massen von E-Mail-Adressen konnten doch gar keine wirklichen Menschen stehen. Und wenn, wer auf der Welt war denn schon so dämlich, dass er auf die E-Mail eines wildfremden Menschen aus Nigeria hereinfiel?“ .. „Über einen Zeitraum von zwei Monaten ließ sich Mirabelle ohne Müh und Mäh um ungefähr $ 23.000 melken. Für die Ausstellung eines Totenscheins, einer Nächstverwandtschaftsurkunde, einer Anerkennungsbestätigung der Bank und eines Erbberechtigungsscheins. Dann schickte ich eine weitere E-Mail, in der ich erklärte, dass $ 7000 für die Transferrepatriierung benötigt würden. Dies, versprach ich, wäre die allerletzte Zahlung, bevor sie die $ 19 Millionen erhielt.“

Noch zwei Klassiker, die man gelesen haben sollte:

Die Senegalesin Mariama Ba (1929–1981) schreibt in ihrer klassisch gewordenen Erzählung „Ein so langer Brief“ (deutsch, 1998, Ullstein Taschenbuch), wie sie als moderne Afrikanerin zu einem Opfer der überlieferten islamischen Polygamie wurde. In den Szenen einer afrikanisch-islamischen Ehe hat Mariama Ba offenbar viel Autobiografisches verarbeitet. Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Nach 30 Jahren Ehe und zwölf geborenen Kindern wird Ramatoulaye von ihrem Mann für das Schulmädchen Binetou verlassen. Die Lehrerin, gerade Witwe geworden, schreibt ihrer Freundin Aissatou: „Ich ermesse mit Entsetzen die Tragweite von Moudous Verrat. Das Verlassen seiner ersten Familie (meiner Kinder und mir) war gleichbedeutend mit der Wahl eines neuen Lebens. Er wollte nichts mehr von uns wissen. Er plante seine Zukunft ohne Rücksicht auf unsere Existenz… Dieses Haus [das Haus für die neue Frau und deren Familie] und sein elegantes Mobiliar wurden erworben dank einem Bankdarlehen, das auf eine Hypothek der ‚Villa Falène‘, in der ich wohne, gewährt wurde. Diese Villa aber, deren Besitzurkunde seinen Namen trägt, ist eine gemeinsame Anschaffung aus unseren beiden Ersparnissen… Vier Millionen, die er dank seiner bevorzugten Position ohne Schwierigkeiten ausleihen konnte, hatten Frau Schwiegermutter und ihrem Mann erlaubt, nach Mekka zu reisen und dort den Titel ‚Hadja‘ und ‚El Hadji‘ zu erwerben; sie hatten außerdem ermöglicht, dass Binetou bei jeder kleinsten Beule einen neuen Alfa Romeo bekam…. Und dann, nachdem er Binetou aus dem Schulbetrieb herausgeholt hatte, zahlte er ihr monatlich fünfzigtausend Francs, wie ein ihr zustehendes Gehalt.“

Der Nigerianer Chinua Achebe (1930–2013) gilt als einer der Väter der modernen afrikanischen Literatur. Er schreibt in „Einer von uns“, deutsch, Fischer Klassik, 2016 z.B. zur Polygamie: „Das Problem bei meinem Vater war seine unersättliche Gier nach Frauen und Kindern. Oder sollte ich lieber sagen, Kindern und Frauen. Gegenwärtig hat er fünf Frauen – die jüngste selbst noch ein halbes Kind, das er sich letztes Jahr genommen hat. Dabei ist er mindestens achtundsechzig, wenn nicht siebzig. Er erhält eine kleine Rente, die vollkommen ausreichend wäre, wenn er eine kleine Familie und nicht fünfunddreißig Kinder hätte. Allerdings tut er inzwischen nicht einmal mehr so, als sorge er für die Familie. Die jeweiligen Frauen müssen selbst sehen, wie sie sich durchschlagen. Für die älteren wie Mama, deren erwachsene Kinder zum Unterhalt beitragen, ist es nicht so schlimm, aber die jüngeren müssen das Schulgeld für ihre Kinder mit dem Anbau von Feldfrüchten und ihrem bisschen Handel bestreiten.“

In den genannten Büchern ist viel lesenswertes Autobiografisches verarbeitet. Die Autoren verstehen es aus unterschiedlichsten Blickwinkeln, uns authentisch Afrika und seine Menschen nahezubringen. Sie lehnen die Ihnen oft von außerhalb zugedachte Opferrolle ab. Die Rolle ist attraktiv, weil sie es ermöglicht, Verantwortung abzugeben. Sie finden es anmaßend, dass Ausländer Afrika für die Aussenwelt definieren. Afrika ist nicht arm, hilflos und auf die ständigen Spendenaktionen und das Mitgefühl von großzügigen Gönnern im Westen angewiesen. Die vermeintliche Hilfe hat die wirtschaftliche Entwicklung nicht vorangebracht, sondern im Gegenteil vieles nur noch schlimmer gemacht, weil sie die Vorsorge verhindert.

*Volker Seitz war von 1965 bis 2008 für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ (dtv).  Inzwischen liegt das Buch aktualisiert und erweitert in elfter Auflage vor.