Äthiopische Gesundheitsarbeiter starten landesweiten Streik wegen niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen

Äthiopische Gesundheitsarbeiter starten landesweiten Streik wegen niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen

Addis Abeba, Äthiopien – Gesundheitsarbeiter in Äthiopien haben einen landesweiten Streik begonnen, nachdem ein Teilstreik, der am 12. Mai begonnen hatte, keine nennenswerten Reaktionen der Regierung zur Folge hatte. Mit dem Streik fordern sie bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Der Protest wirft ein Schlaglicht auf die sich verschärfende Krise im äthiopischen öffentlichen Gesundheitswesen – ausgelöst durch wirtschaftliche Not, berufliche Unzufriedenheit und ein wachsendes Lohngefälle zu medizinischen Fachkräften in Nachbarländern.

Große Lohnunterschiede und prekäre Lebensverhältnisse
Viele äthiopische Gesundheitsarbeiter verdienen nur etwa 60 US-Dollar im Monat – nach einem Steuerabzug von 35 %. Diese Einkommen reichen oft nicht einmal für grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Miete und Transport. „Ich zahle 35 Dollar Miete, esse zweimal am Tag und führe ein elendes Leben“, sagte eine medizinische Fachkraft anonym aus Angst vor Repressalien.

Ein erfahrener Mitarbeiter mit über 30 Dienstjahren erklärte: „Ich war ein sehr guter Schüler und bin mit großen Hoffnungen in den Beruf gestartet. Heute verdiene ich 57 Dollar im Monat. Ich habe Kinder zu versorgen und esse nur einmal täglich. Das ist kein Leben für einen Fachmann – das ist das Leben eines Vergessenen.“

Zum Vergleich: Berufseinsteiger in der medizinischen Versorgung in Kenia verdienen über 1.500 US-Dollar im Monat – mehr als das Zwanzigfache.

Repression gegen Protestführer
Die Reaktion der äthiopischen Regierung ist von harter Repression geprägt. Über 100 medizinische Fachkräfte wurden verhaftet, darunter auch Dr. Mahlet Guesh, eine prominente Ärztin, die kürzlich in der BBC-Sendung Focus on Africa auf die Notlage des Berufsstandes aufmerksam machte. Ihre Verhaftung am 14. Mai sorgte für weitere Empörung unter Medizinern und Menschenrechtsorganisationen.

Zwölf zentrale Forderungen
Die Gesundheitsarbeiter haben dem Gesundheitsministerium eine Liste mit zwölf Forderungen übermittelt, die tiefgreifende Reformen vorsehen:
Einstiegsgehalt von 1.000 USD monatlich, faire Arbeitszeiten und WHO-konforme Überstundenvergütung

  • Höhere Zulagen für Miete, Gefahren und Krankheitsrisiken
  • Fahrtkostenzuschüsse oder steuerfreie Fahrzeuge
  • Pünktliche Überstundenvergütung mit Sanktionen bei Verzögerung
  • Rechtlicher Schutz vor Missbrauch, Einschüchterung und Übergriffen am Arbeitsplatz
  • Kostenlose medizinische Versorgung für Fachkräfte und deren Familien inkl. Reisesupport
  • Wohnraumförderung oder Zugang zu langfristigen, zinsgünstigen Krediten
  • Sicherere Arbeitsumgebungen und Unterstützung bei Ausbildung und Weiterbildung
  • Rechtliche Schritte gegen Verleumdungen durch Einzelpersonen oder Medien
  • Einrichtung internationaler Prüfungszentren zur Qualifizierung im Ausland
  • Besetzung von Führungspositionen im Gesundheitswesen auf Leistungsbasis

Unabhängigkeit des Gesundheitswesens von der allgemeinen Zivilverwaltung

Wachsende politische Unterstützung
Die Bewegung erhält inzwischen Rückhalt aus mehreren politischen Lagern, darunter Enat Party, All Ethiopia Unity Party, Amhara Ghionians Movement, Ethiopian Peoples’ Revolutionary Party und Ethiopia Citizens for Social Justice. Der Streik ist somit längst mehr als nur ein arbeitsrechtliches Thema – er hat sich zu einer nationalen Angelegenheit entwickelt.

Gesundheitsnotstand droht
Mit der drastisch reduzierten Arbeitskapazität von Krankenhäusern und Kliniken droht dem ohnehin überlasteten Gesundheitssystem Äthiopiens ein Zusammenbruch. Beobachter warnen vor drastischen Folgen für Patientinnen und Patienten sowie langfristigen Schäden für das Gesundheitswesen.

„Dies ist kein gewöhnlicher Streik mehr – es ist ein öffentlicher Notstand“, sagte ein Gewerkschaftsvertreter. „Gesundheitskräfte sind hungrig, überarbeitet und unterbezahlt. Wenn sie nicht überleben können, überlebt das System nicht.“

Internationale Gesundheitsorganisationen und Menschenrechtsgruppen beobachten die Lage genau. Es mehren sich die Stimmen, die zu Dialog, Transparenz und zur Achtung der Rechte der Gesundheitsarbeiter aufrufen.

Bereits am 15. Mai äußerte Amnesty International große Besorgnis über das harte Vorgehen gegen streikende Gesundheitskräfte. In einer Mitteilung an Addis Standard kritisierte die Organisation, dass medizinisches Personal in mehreren Regionen Äthiopiens willkürlich von Sicherheitskräften festgenommen werde. (HRW)