Äthiopien ist ein Land mit 115 Millionen Einwohnern und einer bewegten Geschichte, geprägt von sozialen und politischen Veränderungen. In dieser Kulisse wird Adane, die Hauptfigur des Romans, in der äthiopischen Savanne geboren. Sein Vater hält ihn jedoch für ungeeignet, das Leben auf dem Land zu meistern, und sieht in ihm jemanden, der nicht wie seine Brüder die täglichen Arbeiten verrichten kann.
Schweren Herzens stimmt der Vater zu, Adane gegen seinen Willen auf eine Missionsschule zu schicken. Dort erlebt Adane nicht nur Gewalt und harte Strafen, sondern auch Zuneigung und Unterstützung durch eine norwegische Ordensschwester.
Die Autorin Dorrit Bartel schildert anhand von Adanes Lebensweg eindrucksvoll die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR und die politischen Entwicklungen in Äthiopien. Adanes Traum, Arzt zu werden, bleibt unerfüllt. Stattdessen erhält er ein Stipendium für ein Studium in der DDR – als Gegenleistung für gute Kaffeeexporte Äthiopiens. Das Studienfach Marxismus-Leninismus wird ihm vorgeschrieben. Nach dem Studium möchte er in seine Heimat zurückkehren und beim Aufbau einer besseren Zukunft mithelfen. Doch zurück in Äthiopien gerät er in die politischen Wirren, wird eines Umsturzversuchs beschuldigt, inhaftiert und gefoltert. Ihm droht die Todesstrafe, da man ihm den Besitz einer Waffe unterstellt.
Mit Unterstützung von Freunden gelingt Adane 1989 die Rückkehr in die DDR. Dort schließt er im September seine Dissertation ab, fühlt sich aber nach dem Mauerfall im November zunehmend entfremdet. Während er um eine Perspektive ringt, bietet ihm die äthiopische Regierung einen Posten als stellvertretender Kultusminister an, doch 1991 wird er erneut verhaftet. Nach sechs Monaten Gefängnis wird er freigelassen, darf sich aber politisch nicht mehr engagieren. Seine Freundin Anke setzt sich für ihn ein, und er kehrt in die DDR zurück.
Adane arbeitet zunächst als Bauarbeiter, absolviert eine Ausbildung zum Maurermeister und kehrt schließlich mit Anke und ihrem gemeinsamen Sohn in seine Heimat zurück. Beruflich ist er viel unterwegs, unter anderem in den USA und in der Mongolei, wo er für eine deutsche Baufirma tätig ist. Sein Ziel ist es, sowohl seine Familie in Äthiopien als auch in Deutschland zu unterstützen.
Zurück in Äthiopien arbeitet Adane als Reiseführer für deutsche Touristen. Er beschließt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und verwirklicht seinen langgehegten Traum, Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, um ihnen eine sichere Zukunft zu schenken. Seine Lebenserfahrungen – die Kraft, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen, offen zu bleiben und aus allem zu lernen – möchte er an die nächste Generation weitergeben.
Trotz Diskriminierung und Ungerechtigkeiten findet Adane immer wieder Menschen, die ihm helfen, seine schwierige Situation zu bewältigen. Besonders Frauen spielen eine wichtige Rolle in seinem Leben.
Dorrit Bartel hat Adanes Lebensgeschichte durch intensive Gespräche minutiös nacherzählt. Der Roman vermittelt eine emotionale Tiefe, lässt den Leser Schmerz, Beklommenheit und Hoffnung miterleben und zeigt die Vielfalt menschlicher Erfahrungen. Mit eindringlicher Sprache beschreibt die Autorin die Stationen von Adanes Leben und die Entwicklungen, die ihn geprägt haben.
Dieser Roman, der Dorrit Bartel den Literaturpreis der Noon Foundation „Aufstieg durch Bildung“ eingebracht hat, ist eine eindrucksvolle Lektüre. Bartel verarbeitet ihre Reisen nach Äthiopien, Senegal und Tansania zu spannenden Erzählungen, die den Blick auf die Vielfalt afrikanischer Lebenswelten lenken. Ein Buch, das nachhaltig beeindruckt und zu empfehlen ist. (Theresa Endres)
Dorrit Bartel – DER ÄTHIOPIER
Roman – Nepubli GmbH, Berlin 2024
ISBN 978 3-7598-5520-6
353 Seiten
kartoniert, 19,00 EUR