Buchtipp: Max Lobe – Vertraulichkeiten

Buchtipp: Max Lobe – Vertraulichkeiten

In Vertraulichkeiten begibt sich der Autor Max Lobe auf eine eindringliche Spurensuche in seiner Heimat Kamerun. Er will mehr über die Unabhängigkeitsbewegung des Landes erfahren – über ihre Anfänge, ihre Anführer und ihre Folgen. Seine Reise führt ihn in den Bassa-Wald, wo er auf die alte, kluge Ma Maliga trifft. Sie ist eine lebendige Zeugin der Geschichte und erinnert sich eindrucksvoll an die Zeit des Widerstands – besonders an die zentrale Figur: Ruben Um Nyobé.

Mit Witz, Wärme und einem Becher Palmwein erzählt Ma Maliga von den Kämpfen gegen die kolonialen Mächte. Sie spricht über die Forderung nach Kundé – was in der Sprache der Bassa so viel bedeutet wie: „Wir werden unsere Unabhängigkeit erlangen.“ Ihre Erinnerungen sind nicht nur politisch, sondern zutiefst persönlich. Sie teilt ihr Wissen über Heilpflanzen, erklärt unterwegs die Wirkung von Blättern, Blüten und Früchten – gegen Fieber, Wunden, Husten, Hautkrankheiten und sogar Krebs. Besonders der Saft des Saba-Saba-Baumes soll heilend wirken.

Neben dem politischen Widerstand schildert Ma Maliga ebenso anschaulich das soziale Leben jener Zeit. Sie erzählt vom Ritual der Brautwerbung, von Hochzeitsvorbereitungen, Geschenken – und von der Spannung zwischen Tradition und politischem Aufbruch. Ihr Vater etwa begegnet ihrem zukünftigen Ehemann mit Skepsis, denn dieser unterstützt Um Nyobé. Der Vater, ein Verfechter der Kolonialverwaltung, sieht in ihm einen „Barbaren“. Erst eine Flasche Whisky bringt ihn schließlich zum Einlenken.

Doch als der Hochzeitstag kommt, fällt er auf denselben Tag wie die Wahlen – Wahlen, zu denen Um Nyobé und seine Mitstreiter nicht zugelassen wurden. Aus Protest rufen sie zum Boykott auf. Die Kolonialverwaltung bleibt machtlos, die Hochzeit kann nicht verschoben werden. Der Vater allerdings geht dennoch wählen – und wird dafür brutal angegriffen. Vor aller Augen wird er als Verräter gebrandmarkt. Das Fest endet abrupt, das junge Paar flieht.

Ma Maliga nimmt Max Lobe und ihren Sohn mit auf eine Erinnerungsreise zu jenen Orten, an denen Um Nyobé wirkte. Sie erzählt von seiner Popularität, seiner Überzeugungskraft und seiner Nähe zum Volk. Zugleich spricht sie über den „verschwiegene Krieg“ zwischen 1948 und 1971 – ein brutales Kapitel, in dem die französischen Kolonialherren erbarmungslos gegen die Opposition vorgingen.

Viele Unterstützer Um Nyobés wurden verhaftet, in Lager gebracht und von ihren Familien getrennt. Auch Ma Maliga und ihre Mutter erleben diese Zeit im Lager – sie selbst ist schwanger, ihr Mann unerreichbar. Ihr Vater wünscht sich, dass sie eine Karriere als „Bleistift-Intellektuelle“ macht. Doch Ma Maliga widersetzt sich.

In ihre Erzählung mischen sich auch Episoden ihres Bruders, der sich freiwillig für den Indochinakrieg meldete – in der Hoffnung, der Armut zu entkommen. Doch er kehrt traumatisiert zurück, nicht mehr fähig, ein normales Leben zu führen.

Als schließlich die Nachricht vom Tod Ruben Um Nyobés die Lager erreicht, breitet sich eine Welle aus Trauer, Unglauben und Verzweiflung aus. Ein Unteroffizier führt eine kleine Gruppe – darunter auch Ma Maliga – an den Ort, an dem der Freiheitskämpfer getötet wurde.

Max Lobe, der selbst achtzehn Jahre in Douala lebte und heute in der Schweiz wohnt, gelingt mit Vertraulichkeiten ein bewegender Roman, der Geschichte lebendig macht. In einer stimmigen Mischung aus autobiografischer Spurensuche, mündlicher Überlieferung und poetischem Erzählen verleiht er der kolonialen Vergangenheit Kameruns eine neue, eindrucksvolle Perspektive. Für dieses Werk wurde er unter anderem mit dem Ahmadou-Kourouma-Preis ausgezeichnet.

Ein außergewöhnliches Buch, das historische Analysen um die persönliche Sicht einer Zeitzeugin bereichert. (Theresa Endres)

Max Lobe
Vertraulichkeiten
Aus dem Französischen von Katharina Triebner-Cabald
3. Auflage, 2024
268 Seiten
Akono Verlag, Leipzig
ISBN 98-394554-07-0
Preis: 20,00 Euro