Der Hunger in Afrika ist weniger Kriegs- und Klimafolge als menschengemacht

Der Hunger in Afrika ist weniger Kriegs- und Klimafolge als menschengemachtEin sehr lesenswerter Beitrag von Volker Seitz*: Die wichtigste Ursache für Hunger wird nie genannt. Der Klimawandel und der Ukrainekrieg sind schlicht zweitrangig gegenüber dem Wachstum der Bevölkerung. Nur eine rasche Einschränkung des Bevölkerungswachstums wird in vielen Ländern Afrikas die Zunahme des Hungers verhindern.

„Krieg in der Ukraine: Afrika droht eine Hungersnot.” Solche Schlagzeilen gehen seit Wochen durch die Medien. Tenor: Wenn man nicht umgehend zum Beispiel an UNICEF oder die Welthungerhilfe spendet, sind Millionen Afrikaner vom Hungertod bedroht. „Jede Sekunde zählt“, schreibt UNICEF. Dabei wird seit Jahren ignoriert, dass die Bereitschaft in den betroffenen Ländern mangelhaft ist, sich selbst um eine bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln zu kümmern. Die wichtigste Ursache für Hunger wird auch nie genannt. Der Klimawandel und die Ukrainekrise sind schlicht zweitrangig gegenüber dem Wachstum der Bevölkerung. Es wird immer deutlicher: Nur eine rasche Einschränkung des Bevölkerungswachstums wird in vielen Ländern Afrikas die Zunahme des Hungers verhindern.

Hohe Geburtenraten führen in Afrika zu immer mehr Arbeitslosigkeit. Kinderreichtum wird von afrikanischen Traditionalisten als fester Bestandteil der Kultur gepriesen. Junge Frauen ohne Schulausbildung und ohne Job wissen es auch nicht besser. Die rasanten Bevölkerungszuwächse werden von vielen autoritären Herrschaftssystemen in Afrika weitgehend ausgeblendet – und Entwicklungshilfeorganisationen schweigen. Das Nichtstun afrikanischer Regierungen schafft erst das Hungerproblem, zu dessen Lösung sie die Weltgemeinschaft auffordern, obwohl sie die einzige Macht sind, die in der Lage wäre, das Problem dauerhaft zu lösen.

Die wirtschaftliche Lage der meisten Menschen in Subsahara-Afrika hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verbessert, trotz massiver Entwicklungshilfe. Deren überwiegendes Versagen geht vor allem auf Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip zurück. Es bedeutet, dass man denen, die sich selbst nicht helfen können, hilft – aber nur im notwendigen Maße und nur so lange wie nötig, weil sonst das Gegenteil dessen bewirkt wird, was beabsichtigt ist. Die Menschen stehen daneben und sehen zu, wie ihnen fertige “Entwicklungsergebnisse” serviert werden, mit denen sie nichts zu tun haben, die sie nicht selber erarbeitet haben – und die sie deshalb häufig nicht annehmen und unterhalten wollen. Die große Mehrheit der Einheimischen hat mit der bisherigen Entwicklungshilfe so gut wie nichts zu tun gehabt. Sie war und ist das Geschäft der ausländischen Geber und der Oberschicht in den Entwicklungsländern. Den afrikanischen Superreichen geht es blendend. Die Zahl der Dollar-Millionäre ist laut einem kürzlich erschienen Bericht der Beratungsfirma Henley & Partners im Jahr 2021 deutlich gestiegen. Sie liegt demnach heute bei 136.000 – das sind 11.000 mehr als im Vorjahr.

Selbstversorgung ist auch in Afrika möglich
Ethnische Zugehörigkeiten prägen die Gesellschaften großer Teile Afrikas. Da viele afrikanische Politiker auf ethnische Polarisierung setzen, haben sie keine Vorstellung von Gemeinwohl. Es wird nicht in das öffentliche Schul- und Gesundheitswesen, Familienplanung und Landwirtschaft investiert. Länder wie Kenia, Uganda, Südsudan geben mehr Geld für Waffen als für die Ernährung ihrer eigenen Bevölkerung aus. Wer die Armut und den Hunger bekämpfen will, muss die Landwirtschaft fördern, insbesondere die Leistungsfähigkeit der Kleinbauern stärken. Es macht keinen Sinn, Lebensmittel zu importieren, die es selbst in dem Land gibt. 60 Prozent der potenziell landwirtschaftlich nutzbaren Fläche weltweit liegen laut Weltbank in Afrika. Obwohl es noch große Reserven an erschließbaren Agrarflächen gibt (in Afrika befinden sich 27 Prozent aller fruchtbaren Böden der Erde), führen afrikanische Staaten jährlich Lebensmittel im Wert von etwa 50 Milliarden US-Dollar ein. Dreiviertel der Lebensmittel müssen importiert werden.

Kleptokratie in Afrika
Die enorme Höhe der Nahrungsmittelimporte der Länder muss gesenkt werden – auch durch heimische Verarbeitung der Agrarprodukte. Sofern die Agrarflächen sinnvoll genutzt werden, könnten Millionen von Jobs entstehen. Um die Abhängigkeit von der Einfuhr von Lebensmitteln zu verringern, muss die Landwirtschaft produktiver werden. Die Ernährungssicherheit hat in Afrika aber nur in wenigen Ländern höchste Priorität. Die Regierenden erkennen nicht, dass die Landwirtschaft ein Schlüsselfaktor in der wirtschaftlichen Entwicklung ist. Eine Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln ist auch in Afrika möglich. In den Staaten sind neue Wege und Ideen gefragt, und festgefahrene Bahnen sollten kritisch beleuchtet werden. Malawi, Ruanda, Botswana, Senegal und Ghana haben es vorgemacht.

Die Ursachen von Hungersnöten sind in der Regel menschengemacht und selten naturbedingt. Von den Reserven an Ackerfläche werden derzeit nur 20 Prozent überhaupt genutzt. Die Landwirtschaft muss deutlich leistungsfähiger werden. Afrikas Eliten müssen den Kampf gegen den Hunger wirklich ernst nehmen. Selbst in fruchtbaren Ländern wie Mosambik oder Sambia dienen kaum mehr 20 Prozent des Landes der Landwirtschaft. Zudem ist sie äußerst ineffizient. Die Kleinbauern produzieren meist nur für den Eigenbedarf. Wenn sie ihre wachsende Bevölkerung ernähren wollen, müssen sie die Landwirtschaft mit modernen Maschinen, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln produktiver zu betreiben. Statt synthetischer Düngemittel (hergestellt unter anderem aus Erdöl), die die Bodenfruchtbarkeit zerstören, sollten Verfahren gefördert werden, die den Aufbau von Humus im Boden steigern. (Kompostierung; tierische Dünger).

Importe aus Europa, China oder den USA sind langfristig bestimmt keine Lösung des Ernährungsproblems. Die Investitionen in die ländliche Entwicklung, mit Bildung und Fortbildung, Landwirtschaft, Gesundheit und Familienplanung müssen deutlich steigen. Afrika hat weltweit die höchsten Geburtenraten. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Menschen in Subsahara-Afrika verdoppeln und bis Ende des Jahrhunderts vervierfachen. Agronomen sind skeptisch, ob sich die Nahrungsmittelproduktion im gleichen Maße steigern lässt, wie die Bevölkerung wächst. Bei fünf bis sieben Kindern pro Frau ist es schwierig, aus der Armutsspirale herauszufinden. Die Lösung kann nur bessere Bildung sein. Der Zusammenhang zwischen der Bildung von Frauen und dem für Afrika so wichtigen Rückgang der hohen Geburtenraten ist hinreichend belegt.

Nicht Wetter, Krieg oder Warenterminmärkte tragen die Hauptschuld an dem Hungerelend
In nur wenigen Ländern wird die Landwirtschaft gefördert. Die angolanische Volkswirtschaft ist in allen Bereichen auf Importe angewiesen. Darunter Grundnahrungsmittel wie Reis, Eier Gemüse (Knoblauch, Zwiebeln, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Tomaten, Kohl, Mais und Maniok) und sogar Früchte (Mango, Bananen und Ananas).

Es gibt in keinem Land zum Beispiel wirksame Kontrollmechanismen, welche zum Schutz der Bevölkerung Pestizidrückstände oder andere Giftstoffe nachweisen und somit vermeiden könnten. Trotz steigender Ernährungsunsicherheit und sinkender landwirtschaftlicher Produktion gehen mit Ausnahme von Äthiopien, Ruanda, Botswana, Mauritius, Madagaskar, Malawi und Senegal nur fünf Prozent des Staatsbudgets in die Landwirtschaft. In den genannten Ländern sind es etwa 10 Prozent. In Äthiopien 15 Prozent. Nur in diesen Ländern gibt es selten oder kurzfristig Hunger. Dort wo Menschen hungern, rufen die Regierungen nach Hilfe aus Europa oder Amerika, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Diese kurzfristigen Hilfen zerstören aber gleichzeitig die lokalen Märkte. Statt der ausreichenden Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln den höchsten Stellenwert beizumessen, laden die regierenden Eliten reiche Großinvestoren ein, Agrarflächen in ihren Staaten im großen Stil zu pachten. Afrikanische Bauern zum Beispiel in Mali werden einfach vertrieben. So wird die Nahrungsmittelsicherung anderer Nationen zu Lasten eigener Agrarflächen zu Waren gemacht.

Das Letzte, was Afrika benötigt, sind ausländische Investoren, die afrikanisches Land bestellen und die lokale Bevölkerung – mit Hilfe einer korrupten Elite – übervorteilen. Wenn eine Regierung allerdings verantwortlich und transparent handelt und die Interessen der lokalen Bevölkerung achtet, kann dies positiv sein.  Denn Afrika benötigt dringend Agrar-Investitionen, wichtig ist, dass sie gut genutzt werden. Der Beweis, dass Nahrungsmittelspekulation die Versorgungslage verschlechtert, ist noch nicht erbracht worden. Jeder redet derzeit wieder darüber, aber stichhaltige Beweise gibt es nicht. Preisschwankungen und -rallyes bei Lebensmitteln hängen eng mit den weltweiten Vorräten zusammen. Sie sind die Puffer, die über Jahrzehnte hinweg Preisausschläge zuverlässig eingeebnet haben. Warenterminmärkte abzuschaffen wäre wohl das verkehrteste Mittel. Diese Instrumente sind vielmehr ein Bestandteil der Agrarmärkte, die Markttransparenz, Preisfindung und Risikomanagement ermöglichen. Die Märkte sind grundsätzlich funktionsfähig. Experten sehen keine lang- und mittelfristigen Einflüsse der Spekulation auf die Nahrungsmittelpreise. Die Preisabsicherung über Warenterminbörsen wird auch zukünftig ein wichtiges Instrument im Rahmen des Risikomanagements bleiben.

80 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Lande
Noch heute müssen vier von fünf Afrikanern Agrarwirtschaft betreiben, um ihre Familien ernähren zu können. Die Produktivität der Kleinbauern ist in Afrika sehr niedrig. Es fehlt an hochwertigem Saatgut, zureichender Düngung, Bewässerungssystemen, Mechanisierung und Maschinenreparatur, landwirtschaftlichen Ausbildungssystem, Kooperation unter den Bauern, an Speichern, Anbautechniken, einer Infrastruktur wie ganzjährig befahrbare Pisten, einer funktionierenden Distribution. Dreißig Prozent des Getreides, Obst und Gemüse verrotten auf dem Weg vom Acker zur Ladentheke. Ursache der Nachernteverluste sind unsachgemäße Lagerung, Vernachlässigung der Hygienestandards, Feuchtigkeit und Schädlingsbefall. Oft fehlt es an den politischen Rahmenbedingungen, die den Bauern Schutz der Wasser- und Landnutzungsrechte garantieren. In Ländern wie Äthiopien ist kein privater Landbesitz erlaubt, mithin kann kein Bauer seinen Besitz beleihen, um Kredite aufzunehmen und zu investieren.

Zu wenig in Forschung in höhere Agrarproduktivität investiert
Durch verbesserte Anbaumethoden und Schutz vor Erosion und Versalzung könnten die Erträge leicht verdoppelt werden. In 50 Jahren sind in Afrika 6,3 Millionen Hektar fruchtbares Ackerland verloren gegangen. Das ist eine Fläche etwa so groß wie Bayern. Die natürliche Bodenfruchtbarkeit geht durch Versiegelung des Bodens (wachsende Städte), synthetische Düngemittel, Versalzung und falsche Bearbeitungstechniken (pflügende Landwirtschaft führt zwangsläufig zu Humusabbau). Vom Humus hängt die Fruchtbarkeit der Böden ab. Er bindet Kohlenstoff und produziert keine Treibhausgase. Der schleichende Verlust der Bodenfruchtbarkeit könnte etwa durch die Terra Preta Technologie (schwarze Erde), ein Konzept der Indios, das wiederentdeckt wurde und z.B. von Technischen Universität Hamburg weiter entwickelt wird, aufgehalten werden.

Die Landbevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft und Viehzucht, wobei die Ernährung der eigenen Familie im Mittelpunkt steht. So müssen z.B. 90 % der im Senegal verbrauchten Milch in Form von Milchpulver eingeführt werden, obwohl 30 % der Bevölkerung von der Tierzucht leben. Hühnerfleisch und Eier sind preiswert und reich an Protein. Die Aufzucht ist relativ problemlos. Dennoch importiert der Kontinent jährlich mehrere Tausend Tonnen Geflügel. Der Bedarf des Kontinents an Nahrungsmitteln kann so nicht gedeckt werden. Nötig wäre der Aufbau einer ländlichen Industrie, um den Bauern Einkommensmöglichkeiten zu schaffen.

Fazit
Das große Entwicklungsproblem liegt in der Gesellschaftsstruktur mit sogenannten Eliten, die sich nicht um die normalen Bürger kümmern. Es gibt keine Entwürfe für deren Lebensqualität, soziale Sicherheit und Entfaltungsrechte. Die Unterentwicklung Afrikas ist ein Konglomerat von politischer Gleichgültigkeit und administrativer Nachlässigkeit, Armut, starker Bildungsdefizite und dem Fehlen von Rechtssicherheit. Fast alles ist mit Geld zu regeln, eine unabhängige Justiz gibt es nicht. Es ist eine Politik des unsystematischen Durchwurstelns. Das Desaster in vielen Staaten Afrikas ist, dass von den Machteliten nicht investiert, sondern konsumiert wird. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich, zwischen Knechten und Herren, bleibt eines der größten Probleme in Afrika. Die afrikanischen Eliten müssen sich den Fatalismus abgewöhnen. Sie müssen ihr Schicksal nicht auf Gott oder das Wetter schieben, sondern eigene Anstrengung unternehmen und lernbereit sein. So sind die Somalier wohl das einzige Küstenvolk, das keinen Fisch mag. Dabei könnte der – reichlich vorhandene – Fisch, der von den Nomaden kulturell nicht akzeptiert wird, die größten Ernährungsprobleme der hungernden Bevölkerung lösen.

 

Ob das Überleben von Millionen Menschen wegen des Ukraine-Krieges auf dem Spiel steht, wie Lobby-Organisationen verbreiten, weiß niemand genau. Scheinbar verläßliche Zahlen sind in Wirklichkeit bloße Schätzungen und schaffen mehr Verwirrung als Klarheit. In den afrikanischen Ländern, die ich gut kenne, verfügen die Statistikbehörden nicht einmal annähernd über die Informationen, die sie für verlässliche Berechnungen benötigen. Ohne korrekte Erhebungen ist es schlicht unmöglich, Armut tatsächlich zu messen. Regierungen, internationale Organisationen und unabhängige Analysten benötigen verlässliche Entwicklungsstatistiken, um die Lebensbedingungen in den einzelnen Ländern beurteilen zu können. Das Fehlen objektiver Daten schafft auch heute zahlreiche  Möglichkeiten, mit Zahlenakrobatik jeden erwünschten Eindruck zu erwecken. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Länder, in denen ich tätig war, Daten oft als unerwünschte Kritik ansahen. Aber sie sind unerlässlich, um effizient helfen zu können.

Auch wenn ein beträchtlicher Teil der Lösung des Hungerproblems auf dem Kontinent von den Regierungen immer wieder auf die lange Bank geschoben, gar nicht erst geplant oder schlampig umgesetzt wurde, so gibt es doch hungernde Menschen, weil sie kein Einkommen und keine Reserven mehr haben, um Lebensmittel zu kaufen. Dass dort dringend geholfen werden muss, wo geholfen werden kann, steht außer Frage. Hungersnöte sind allerdings eine ideale Gelegenheit für Politiker, sich im eigenen Wahlkreis beliebt zu machen und die Hilfslieferungen ein bisschen „umzudirigieren“. Das müssen unsere Regierungen und Hilforganisationen beachten. (Quelle: Tichys Einblick, mit freundlicher Genehmigung des Autors Volker Seitz*)