
Tiken Jah Fakoly ist eine zentrale Stimme des afrikanischen Reggae – und weit mehr als nur Musiker. Seit über 30 Jahren kämpft er mit seinen Songs für politische Gerechtigkeit, Bildung, Einheit und das Erwachen Afrikas. Geboren in der Côte d’Ivoire, in Mali zuhause, ist er auf den Bühnen der Welt unterwegs, um Botschaften zu verbreiten, die bewegen. Anlässlich seines heutigen Auftritts in Berlin hatten wir die Gelegenheit, mit ihm über Musik, Politik, afrikanische Einheit – und sein neues Live-Album aus der Pariser Salle Pleyel – zu sprechen.
Zuerst einmal: Willkommen zurück in Berlin! Wie fühlt es sich für dich an, wieder hier zu sein?
Es freut mich sehr, wieder hier zu sein, weil ich weiß, dass ich hier Fans habe, und es ist wichtig, sie zu treffen. Als man mich eingeladen hat, war ich sofort sehr glücklich, wieder herzukommen.
Wie ist es für dich, vor einem Publikum zu spielen, das nicht unbedingt Französisch versteht? Spürst du trotzdem, dass die Leute hier die Tiefe deiner Texte erfassen?
Ich denke, wenn Menschen zu einem Konzert kommen, dann heißt das, sie haben schon von mir gehört und sich über mich informiert. Man geht nicht einfach so zu einem Konzert. Selbst wenn man den Künstler nicht kennt, informiert man sich vorher ein bisschen über seine Geschichte und seine Musik. Deshalb denke ich, dass die Leute, die Tickets gekauft haben, wissen, weshalb sie hier sind. Ob sie meine Texte verstehen? Ich sage immer: Musik ist universell. Wir haben damals auch nicht verstanden, was Bob Marley gesungen hat, aber wir haben gespürt, was er gesungen hat. Ich bin sicher, dass auch das Berliner Publikum heute Abend die Energie und die Aussage meiner Musik fühlen wird.
Hast du eine besondere Botschaft für das deutsche Publikum?
Meine Botschaft an die Deutschen ist: Informiert euch über Afrika, denn Afrika ist nicht das, was ihr im Fernsehen seht. Afrika hat eine Geschichte. Afrika ist nicht arm, Afrika wurde arm gemacht. Afrika wurde nicht als Sklave geschaffen, Afrika wurde versklavt. Heute beginnt Afrika aufzuwachen.
Laut deinen Promotern zeigt dein neues Album „Live – Salle Pleyel“ „den Künstler und seine Musiker auf dem Höhepunkt ihres Könnens“. Stimmst du dem zu? Hast du das Gefühl, dass ihr euren Höhepunkt erreicht habt?
Ob ich am Höhepunkt bin, weiß ich nicht. Ich habe eher das Gefühl, dass es erst jetzt richtig losgeht. Wir haben über 70 Konzerte mit diesem Album gespielt, überall ausverkauft. Ich habe großes Glück, da zu stehen, wo ich heute bin – und ich werde weiter hart arbeiten, um noch weiterzukommen.
Erzähl uns ein wenig von dir. Welche Schlüsselereignisse haben dich auf deinem Weg geprägt? Was hat dich dazu gebracht, Musiker zu werden – und warum gerade Reggae? Hattest du Vorbilder oder Inspirationen?
Was mich hierhergebracht hat, ist mein Engagement im Reggae. Seit Bob Marley steht Reggae für die Armen, für die Stimmlosen – für die, die sich nicht ausdrücken können. Ich habe versucht, dieser Linie treu zu bleiben, mich nicht zu verrennen, und ich denke, genau deshalb bin ich heute hier. Ich habe die Regeln des Reggae respektiert: Reggae ist keine Musik, um irgendjemanden zu loben, sondern um echte Themen zu behandeln, Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten anzuprangern.
Mein Weg war lang: Ich komme aus einer kleinen Stadt in der Côte d’Ivoire, 850 km von Abidjan entfernt, ohne Fernsehen, ohne Radio. Dass ich heute hier bin, ist ein kleines Wunder.
Was bedeutet der Rastafarianismus für dich – Religion oder Bewegung?
Für mich ist es eine Bewegung, die es mir ermöglicht, meine Botschaften über die Rasta-Musik zu vermitteln. Die Jamaikaner sehen den Rastafarianismus als Religion, weil sie Haile Selassie als Gott verehren. Ich bin Afrikaner, geboren auf dem afrikanischen Kontinent. Für mich ist Haile Selassie ein großer Führer, der viel für die afrikanische Einheit getan hat, aber ich betrachte ihn nicht als Gott. Für mich ist Rastafarianismus eine Bewegung, keine Religion.
Deine Musik ist mehr als Unterhaltung – sie trägt starke Botschaften über Politik, Erwachen, Bildung, Revolution. Wenn du es zusammenfassen müsstest: Was ist die Hauptbotschaft deiner Musik? Gibt es ein Thema, das dir aktuell besonders am Herzen liegt?
Wenn ich es zusammenfassen müsste: Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Menschen auf der Welt. Was mich aktuell besonders beschäftigt: Wohin geht unsere Welt? Das ist auch der Titel eines meiner neuen Songs, der 2027 erscheinen soll. Er ist noch im Entstehen. Ich frage mich: Wohin steuert diese Welt? Man spricht über einen möglichen dritten Weltkrieg, als ob uns die ersten beiden nichts gelehrt hätten. Die Präsidenten kommen und gehen, aber sie denken nur an sich selbst, nicht an die anderen. Unsere Welt ist eine Familie – wir müssen endlich lernen, zusammenzuleben.
Gibt es ein Lied, das dir persönlich besonders am Herzen liegt?
Alle meine Lieder liegen mir am Herzen – sie sind wie meine Kinder, meine Babys. Wenn ich ein Album mit 12 Songs herausbringe, habe ich davor 25 Songs aufgenommen und dann die besten 12 ausgewählt. Alle diese Songs bedeuten mir etwas, keiner ist wichtiger als der andere.
Wenn du auf der Bühne stehst – fühlst du dich mehr als Künstler oder als Aktivist? Oder beides?
Ich fühle mich wie jemand auf Mission für Afrika. Wenn ich mich selbst im Fernsehen sehe, erkenne ich mich manchmal kaum wieder, weil ich eigentlich ruhig bin. Aber der, der auf der Bühne steht, ist eine andere Version von mir.
Du stammst aus der Côte d’Ivoire, lebst im Mali, singst für ganz Afrika. Was bedeutet afrikanische Einheit für dich?
Afrikanische Einheit ist absolut notwendig. Afrika besteht aus 54 Ländern, wir besitzen den Großteil der Rohstoffe, die die sogenannten entwickelten Länder für ihren Fortschritt brauchen. Wie viele Deutsche haben heute Morgen Kaffee getrunken? Der Kaffee kommt aus der Côte d’Ivoire oder Brasilien. Wie viele Kinder in Deutschland haben heute Schokolade gegessen? Wir sind die Nummer eins für Kakao. Afrika vereint wird alle politischen und wirtschaftlichen Kämpfe gewinnen. Solange wir getrennt bleiben, werden wir als kleine Länder behandelt, mit Spenden und Schulden. Aber wenn wir uns vereinen, können wir auf Augenhöhe mit Russland, den USA oder China sprechen.
Du kritisierst oft politische Ungerechtigkeiten. Hast du seit deinen ersten Alben positive Veränderungen gesehen?
Ja, ich habe Veränderungen gesehen. Afrikaner stehen auf, sie wachen auf. Früher wurde ich ausgelacht, manche sagten, ich sei verrückt. Aber heute, durch soziale Netzwerke, verstehen sie, was ich damals sagte. Was ich jedoch beklage: In Afrika reden zu viele Leute durcheinander. Ein Land hat normalerweise nur einen Regierungssprecher. In Afrika redet jeder, und oft wird Unsinn erzählt – das ist ein Problem. Afrika braucht einen klaren, gemeinsamen Kurs. Aber insgesamt sehe ich: Afrika bewegt sich.
Wenn du 10 Jahre in die Zukunft schaust – welche Veränderungen erhoffst du für Afrika?
Ich hoffe auf echte Annäherung der Länder, auf wahre Einheit. Nur gemeinsam können wir unabhängig und stark sein. Nur durch Einheit können wir Manipulation und Abhängigkeit überwinden. Ich hoffe auch, dass die Ära der Staatsstreiche endet und das Volk die Macht übernimmt – denn das Volk ist der wahre Inhaber der Macht.
In einem früheren Interview hast du mir mal gesagt, du könntest dir vorstellen, politisch aktiv zu werden, vielleicht als Berater eines Präsidenten. Ist das noch aktuell?
Nein, gar nicht. Ich möchte kein offizieller Politiker sein. Wenn ein Präsident mich nachts anruft und meinen Rat will, werde ich ihn geben – aber ich möchte nicht in der Öffentlichkeit stehen.
Nach über 30 Jahren Karriere, 11 Alben und großen Tourneen – was kommt als Nächstes? Ein neues Album? Andere Projekte?
Was für einen Künstler als Nächstes kommt: weiterhin Alben machen und Konzerte geben. Außerdem liebe ich die Landwirtschaft. Je älter ich werde, desto mehr zieht es mich zurück zur Natur. Ich kaufe Land, ich will meine alten Tage auf einer Farm verbringen, Hühner und Schafe halten, Reis anbauen. Das ist für mich das wahre Glück im Alter – nicht in Berlin, Paris oder Abidjan, sondern draußen auf dem Land, bei der Erde und den Tieren.
Letzte Frage: Wirst du heute Abend „Je suis un Africain à Berlin“ singen?
Leider nein – wir spielen heute im vollen Reggae-Setup, nicht akustisch.
Aber wir werden unser Bestes geben, damit das Publikum einen großartigen Abend erlebt!
Tiken Jah Fakoly bleibt auch nach drei Jahrzehnten im Musikgeschäft eine unverkennbare Stimme des Widerstands und der Hoffnung. Seine Worte wirken nach – nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Denken seiner Zuhörer. Und während Afrika sich weiter wandelt, wird Tiken Jah seine Stimme erheben – laut, klar und unbeirrbar.
Wer ihn live erlebt, spürt: Hier steht ein Künstler, der nicht nur spielt, sondern etwas zu sagen hat. (Ingrid Aouane)