Buchtipp: Der Schleuser

Buchtipp: Der Schleuser100.000 Dollar Gewinn pro überfüllter Bootsüberfahrt von Libyen verbleiben dem Schleuser Seyoum. Sein Vater ist Journalist, der gegen die autoritäre Regierung protestiert. Deshalb wird die Familie verhaftet und verschwindet, ohne nachvollziehbare Spuren zu hinterlassen. Seyoum erlebt qualvolle; grausame Misshandlungen im Militärlager Sawa in Eritrea, 2004. Es gelingt ihm die Flucht aus seinem Land 2005. Im selben Jahr wird er in libyschen Territorialgewässern festgenommen.

Seine durchlebten unmenschlichen, unvorstellbaren Grausamkeiten gibt er ohne Skrupel weiter.

Es sind die Flüchtenden aus Eritrea und Somalia, die ihre enormen hohen Geldleistungen, noch vor der Überfahrt, an den Schleuser zahlen müssen. Seinen Landsleuten gegenüber, die ebenso wie er, dem gewalttätigen Regime ausgesetzt waren, begegnet er mit höhnischer Verachtung. Diese setzten in ihn ihre letzte Hoffnung und ihr Vertrauen, um einen Ausweg aus ihrer unbeschreiblichen Misere zu finden. Für sie ist es diese Flucht über das Mittelmeer.

Davon profitiert Seyoum. Ihn kümmert es in keinster Weise, wenn die Flüchtenden in einer Lagerhalle zusammengepfercht um Wasser bitten.

Ihn bekümmert, dass er mit den diensthabenden Polizisten, dem Bankmitarbeiter, seinen Mitarbeitern, die auf der Suche nach billigen Booten sind, die großen und kleinen Netzwerke von Banditen und Drogenhändlern, seine Gelder teilen muss. Alle geben sich mit den Geldzahlungen und kleinen Diensten in seinem Haus zufrieden. Sie stören seine Machenschaften nicht.

Als Seydou sieht, dass Madiha, mit der er sein Leben in Eritrea teilen wollte, auf der Liste für die Überfahrt steht, entscheidet er sich, mit dem Boot über das Mittelmeer mitzufahren. Seydou gelingt es, anzukommen.

Im abschließenden Epilog schildert Stephanie Coste die Flucht und die Verhaftung von Madiha in Asmara, 2005. Sie wollte zusammen mit Seyoum das Land verlassen. Doch ihre Cousine verrät sie und kassiert dafür „jauchzend ein Bündel Scheine“. Sie informiert auch darüber, dass Seyoum bereits vor drei Monaten abgehauen sei. Die Nachricht, die sie sich zugesteckt haben, hat er der Behörde gegeben und durfte dafür ungehindert fliehen.

Stephanie Coste beschreibt eindringlich die Vorkommnisse in Zuwara in Libyen sowie im Mittelmeer an Bord des Bootes im Oktober 2015. Die Autorin hat einen Roman verfasst, der dazu auffordert, sich mit dem Innenleben eines Schleusers auseinanderzusetzen. Kein leichtes Unterfangen. Dennoch, die Erzählung wirft Schlaglichter auf alltägliche Geschehnisse, die sich vor unseren Augen abspielen. Hinsehen. Die Romanschriftstellerin entwirft ein Szenario, dem sich der Leser, die Leserin, kaum entziehen kann.

Stephanie Coste erhielt mit ihrem Debütroman drei französische Auszeichnungen. Ihre Jugend verbrachte sie im Senegal und Dschibuti. Heute lebt sie in Lissabon. (Theresa Endres)

Stephanie Coste
Der Schleuser
Aus dem Französischen von Katharina Triebner-Cabald
Austernbank Verlag, München, 2023
130 S.,19,00 Euro
ISBN 978 -3-946687-04-7