Buchtipp: Yewande Omotoso – BOM BOY

Buchtipp: Yewande Omotoso – BOM BOY

Leke lebt in Kapstadt. Die meiste Zeit ist er allein unterwegs. Er fühlt sich einsam. Um seinem Alleinsein zu entkommen, versucht er, Fremden näherzukommen. Dabei nimmt er kleine, scheinbar unbedeutende Gegenstände von ihnen an sich und bewahrt sie auf.

Leke wurde als Kleinkind adoptiert und fühlt sich nirgends wirklich zugehörig. Seine Adoptiveltern kümmern sich um ihn. Besonders sein Adoptivvater Marcus bemüht sich, aus ihm einen „richtigen Jungen“ zu machen, bringt ihm das Segeln bei. Doch an Lekes zehntem Geburtstag erkennt Marcus, dass er mit seinen Vorstellungen nicht weiterkommt – er zieht sich zurück. Seine Frau hingegen unterstützt Lekes Interessen, etwa das Gärtnern und die gemeinsame Zeit mit ihr.

Leke trägt stets ein Foto bei sich – er vermutet, dass es seine leibliche Mutter Elaine zeigt. Er weiß nicht, dass sie ihn in größter Not weggegeben hat. Ihr Mann Oscar sitzt unschuldig im Gefängnis. Elaine arbeitet hart in einem Supermarkt und kann weder für das Baby noch für sich selbst ausreichend sorgen. Auch die Betreuung des Kindes ist nur sehr eingeschränkt möglich. Oscar schreibt ihr aus dem Gefängnis Briefe, und sie versucht, ihn zu beruhigen: Alles sei in Ordnung mit ihr und dem Kleinen.

Nach dem Tod seiner Adoptivmutter zieht Leke von zu Hause aus. Er will seinen eigenen Weg gehen, ohne dass sein Stiefvater ihn bevormundet. Ab und zu treffen sie sich sonntags auf dem Friedhof, um gemeinsam der Verstorbenen zu gedenken. Das Auto „Red“ wird für Leke zu einer lebendigen Erinnerung an seine Stiefmutter. Er sucht sich eine einfache Unterkunft – eine Garage, in der auch das Auto Platz findet.

Sein Adoptivvater übergibt ihm einen Stapel Briefe. Sie sollen ihm helfen, seine lang verborgene Herkunft zu verstehen. Leke sucht nach Antworten, hofft auf eine Erklärung, die seine endlosen Grübeleien und widersprüchlichen Gedanken sortieren kann.

Die Briefe stammen von seinem leiblichen Vater Oscar. Der erste beginnt mit einem Lied, das Oscar von seinem eigenen Vater gelernt hat: „Babalawo“ (Yoruba für „Vater der Geheimnisse“) – „Babalawo, ich kam, dich anzuflehen.“ In den Briefen erzählt Oscar von seiner Kindheit, von seinem Vater, der ihm Geschichten erzählte, denen er gerne lauschte. Von seinen Eltern, die nur Jungen bekommen konnten und alles dafür taten, damit ein Mädchen geboren wird. Sie wandten sich an einen Babalawo und erklärten sich bereit, alles zu tun, um ihren Wunsch erfüllt zu bekommen.

Schließlich wurde ihre Tochter Ayo geboren – alle freuten sich über das Mädchen. Als sie drei Jahre alt war, erschien der Babalawo erneut und forderte die Erfüllung des Versprechens. Doch die Eltern weigerten sich, das Kind abzugeben. Der Babalawo ging allein fort. Kurz darauf starb das Mädchen – und auch die Jungen in der erweiterten Familie. Es war der Fluch eines gebrochenen Versprechens, der seither über den Generationen lastet.

Im letzten Brief jedoch schreibt Oscar eine andere Version der Geschichte – eine, die er eigens für Leke erfunden hat. Darin geht es um Moremi, die legendäre Königin der Yoruba. Sie trägt ihr Kind ans Ufer, drückt es ein letztes Mal an sich, bevor sie es ablegt und selbst in die Fluten springt. Die Götter, besänftigt durch ihre Liebe, erfreuen sich an ihrer Hingabe. Wenn die Wellen an das Ufer schlagen, so Oscar, und vom Sand lecken, dann sind es die Götter, die sich immer wieder daran erinnern.

Mit finanzieller Unterstützung seines Adoptivvaters sucht Leke schließlich selbst den Babalawo auf, um ihn um Hilfe zu bitten – der Fluch, der auf seiner leiblichen Familie lastet, soll aufgehoben werden. „Der Priester der Ifa wird dir helfen“, sagt der Heiler. „Eshu, die Trickstergottheit im Yoruba-Pantheon, wird dir gnädig sein.“ Leke schöpft neue Zuversicht.

Er fragt den Babalawo, wie er sich verhalten solle. Dessen Antwort ist schlicht: „Führe ein einfaches Leben.“

Marcus, sein Adoptivvater, ermutigt Leke, das zu tun, was er für richtig hält. Er hat eine Heilerin für ihn gefunden – empfohlen vom früheren Kindermädchen. Leke bittet seine Freundin Tsotso, ihn zu Sis’Lerato zu begleiten, einer Kräuterheilerin und Lehrerin der Xhosa.

Die Heilerin erklärt, dass die Ahnen wollen, dass jemand wiedergeboren wird, um das Heilen zu erlernen. Dies sei die Bedingung für eine Waffenruhe mit dem Sangoma-Fluch. Widmet das Kind sein Leben der Heilkunst und der Weissagung, wird der Fluch verschwinden. Sie betont jedoch auch: Lekes Mutter sei nicht unter den Ahnen.

Leke müsse zurückgeben, was einst genommen wurde – so fordert es die Heilerin.

Der Roman von Yewande Omotoso besticht durch seine vielschichtige Darstellung der Figuren und die detailreichen Beschreibungen ihrer Lebensumstände. Er gewährt einen tiefen Einblick in die Entstehung von Gewalt und den Umgang mit familiären und kulturellen Traumata. Der Autorin gelingt es, ein lebendiges Bild der Verhältnisse in Kapstadt zu zeichnen. Gleichzeitig führt sie die Vergangenheit und die Welt der Heiler mit großer Einfühlsamkeit in die Gegenwart ein. (Theresa Endres)

Yewande Omotoso
BOM BOY
Akono Verlag; 2025
Roman, 263 Seiten
Aus dem Englischen von Thomas Brückner
ISBN: 978-3-949554-25-4
20,00 Euro