
Der strategische Wettstreit zwischen Marokko und Algerien überschreitet längst die Grenzen des Maghreb. Er wird inzwischen auf kontinentaler Ebene ausgetragen, wo beide Hauptstädte um Einfluss ringen. In den vergangenen Monaten hat sich die Dynamik deutlich zugunsten von Rabat verschoben: Die diplomatischen, wirtschaftlichen und symbolischen Fortschritte Marokkos in Afrika stehen im starken Kontrast zu den jüngsten Rückschlägen, die Algerien insbesondere in der Sahelzone hinnehmen musste.
Spannungen zwischen Algerien und der AES: Bruch einer strategischen Achse
Der Vorfall Anfang April 2025, bei dem die algerische Armee eine malische Drohne in Tin Zaouatine abschoss, offenbarte die tiefgreifende Verschlechterung der Beziehungen zwischen Algerien und den Mitgliedstaaten der Allianz der Sahelstaaten (AES) – Mali, Burkina Faso und Niger. Die unmittelbare Reaktion: Schließung des algerischen Luftraums für malische Flüge, gegenseitiger Abzug von Botschaftern und scharfe Rhetorik aus Bamako, das Algerien beschuldigte, die Stabilisierungsbemühungen in der Sahelregion zu sabotieren.
Dieser Bruch markiert eine Zäsur: Algerien, lange als unverzichtbarer Vermittler im Sahel angesehen – nicht zuletzt dank des Abkommens von Algier 2015 – steht nun isoliert da, ausgegrenzt von den geopolitischen Entwicklungen der AES. Dieses neue regionale Militärbündnis, das seine Abhängigkeit von äußeren Einflüssen verringern und seine Souveränität schützen will, sieht inzwischen in Rabat einen potenziellen Partner – während Algerien auf Distanz gehalten wird.
Das Scheitern Algeriens bei der Rückkehr in den Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union im Mai 2025 bestätigt den Verlust an Einfluss.
Proaktive Diplomatie und große Infrastrukturprojekte: Marokkos Trümpfe
Im Gegensatz zur algerischen Sackgasse festigt Marokko diskret, aber konsequent seine Stellung auf dem Kontinent. Getragen von einer offensiven Wirtschaftsdiplomatie hat sich Rabat als zentraler Akteur der regionalen Entwicklung positioniert.
Ein Beispiel dafür ist das Pipeline-Projekt Nigeria–Marokko, das von mehreren westafrikanischen Staaten und der ECOWAS unterstützt wird – ein Ausdruck marokkanischer Integrationsstrategie im Energiesektor. Hinzu kommt die 2023 von König Mohammed VI. initiierte Atlantik-Initiative, die die Binnenländer des Sahel – Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad – mit marokkanischen Seehäfen verbinden soll.
Auf diplomatischer Ebene haben über 30 afrikanische Staaten in den letzten Jahren Konsulate in Dakhla oder Laâyoune eröffnet – ein Schritt, der als (implizite oder sogar explizite) Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara gewertet werden kann. Algerien hingegen hält zwar an seiner Unterstützung für die Demokratische Arabische Republik Sahara (RASD) fest, doch die Zahl der afrikanischen Unterstützer schrumpft.
Dieser diplomatische Wandel verschiebt die Kräfteverhältnisse innerhalb der Afrikanischen Union. Zwar behält die RASD ihren Sitz, doch ihr Rückhalt ist deutlich geschwunden. Marokko, seit 2017 wieder Mitglied der AU, nutzt seine Position, um Partnerschaften in den Bereichen Bildung, Militär und Logistik auszubauen.
Ein begehrter Kontinent in einer fragmentierten Welt
Während sich die maghrebinische Rivalität zunehmend in Subsahara-Afrika abspielt, bleibt der Kontinent im Zentrum globaler Interessen – geprägt durch die Strategien der Großmächte.
In Europa zeigt sich die Unterstützung für Marokko unter anderem in den vertieften Beziehungen zu Spanien und mehreren osteuropäischen Ländern, die in Marokko eine attraktive Alternative zur algerischen Energieversorgung sehen. Die EU schwankt zwischen institutioneller Neutralität und gezielten Partnerschaften – insbesondere in der Migrationspolitik.
In Asien verstärkt China seine Präsenz durch Handelsabkommen mit Rabat, das für Peking als Zugangstor zur EU und Westafrika dient. Zwar vermeidet China eine klare Position im Westsahara-Konflikt, doch es bevorzugt eine stabile wirtschaftliche Kooperation mit beiden Rivalen des Maghreb. Die Türkei hingegen pflegt zunehmend enge Beziehungen zu den Ländern der AES – einschließlich Mali – was die Position Algeriens in der Subregion weiter schwächt.
Fazit: Marokko punktet – aber das Spiel ist nicht vorbei
In einer sich wandelnden Weltordnung erzielt Marokko Erfolge in Afrika und baut gleichzeitig seine Beziehungen zu Europa und Asien aus. Algerien verfügt zwar über strategische Ressourcen und eine zentrale Lage am Mittelmeer, doch seine Einflussnahme wird zunehmend in Frage gestellt. Die erste Runde scheint somit an Rabat zu gehen – ohne dass damit der Ausgang des gesamten Spiels entschieden wäre. (Quelle: lanouvelletribune)