500 Tage nach Kriegsausbruch im Sudan kritisiert Ärzte ohne Grenzen das Ausbleiben einer angemessenen Reaktion auf die schwere humanitäre Krise im Land. Aus Sicht der Organisation ist es ein beschämender Moment für die internationalen humanitären Organisationen und Geber, die seit mehr als 16 Monaten nicht in der Lage sind, hinreichend auf den stark ansteigenden medizinischen Bedarf zu reagieren.
Zehntausende Menschen wurden durch den Konflikt verletzt oder getötet. Das Ausmaß an Mangelernährung, insbesondere bei Kindern, ist alarmierend. Immer wieder brechen Krankheiten aus. Gleichzeitig schränken beide Kriegsparteien Hilfsmöglichkeiten bisher stark ein – auch die von Ärzte ohne Grenzen.
Die anhaltende Gewalt hat zudem eine der größten Vertreibungskrisen weltweit ausgelöst: Laut Vereinten Nationen mussten mehr als zehn Millionen Menschen aus ihrem Zuhause fliehen, eine Vielzahl wurde sogar mehrfach vertrieben.
Angesichts fehlender humanitärer Versorgung und steigender Lebensmittelpreise nimmt Mangelernährung zu. Seit Ausbruch des Krieges bis Juni 2024 haben Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen im Sudan 34.751 akut mangelernährte Kinder behandelt. Neben der katastrophalen Situation im Samsam-Camp in Nord-Darfur sind die stationären therapeutischen Ernährungszentren von Ärzte ohne Grenzen auch in anderen Gebieten von Darfur ausgelastet. Dasselbe gilt für die Geflüchtetencamps, in denen Ärzte ohne Grenzen im Osten des Tschad tätig ist.
„Im ganzen Land sterben Kinder aufgrund von Mangelernährung. Die Hilfe, die sie am dringendsten brauchen, kommt kaum. Und wenn sie kommt, wird sie oft blockiert“, sagt Tuna Turkmen, Notfallkoordinator der Organisation in Darfur. „Im Juli beispielsweise wurden Lastwagen mit Hilfsgütern von Ärzte ohne Grenzen an zwei Orten in Darfur daran gehindert, ihr Ziel zu erreichen. Zwei Lastwagen wurden von den Rapid Support Forces festgesetzt, einer wurde von unbekannten bewaffneten Männern beschlagnahmt.“
Auch im Osten und im Zentrum des Sudan ist die Lage schwierig. „Im Süden Khartums wird Ärzte ohne Grenzen seit vielen Monaten daran gehindert, medizinische Hilfsgüter und internationales Personal in die Krankenhäuser zu bringen. Es wird immer schwieriger, unseren Patient*innen die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen“, sagt Claire San Filippo, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen für den Sudan in Brüssel.
Durch die Regenzeit wurden wichtige Straßen und Brücken überflutet. Malaria und durch Wasser übertragene Krankheiten treten immer häufiger auf. In mindestens drei Bundesstaaten wurde ein Ausbruch von Cholera gemeldet. Weil Impfkampagnen aufgrund des Krieges ausgesetzt wurden, droht ein Ausbruch weiterer, vermeidbarer Krankheiten, darunter Masern.
Laut Weltgesundheitsorganisation sind aufgrund des Konflikts inzwischen fast 80 Prozent der Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb. Allein die von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Einrichtungen in Al-Faschir wurden zwölfmal angegriffen seit die Kämpfe dort im Mai eskalierten. Nur ein öffentliches Krankenhaus ist noch teilweise funktionsfähig und kann Operationen durchführen.
Die Kriegsparteien und die Staaten, die Einfluss auf sie haben, müssen den Schutz der Zivilbevölkerung, des medizinischen Personals und der medizinischen Einrichtungen gewährleisten. Die Zuständigen auf beiden Seiten des Konflikts müssen die Verfahren für die Erteilung von Genehmigungen für humanitäre Transporte und Personal auf allen verfügbaren Wegen über Grenzen, Staaten und Frontlinien hinweg vereinfachen und beschleunigen. Die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen müssen alle nötigen Maßnahmen ergreifen, damit die verfügbaren Zugangswege in vollem Umfang genutzt werden.
„Ärzte ohne Grenzen versucht, einige der Versorgungslücken zu füllen. An vielen Orten, an denen wir arbeiten, sind wir die einzige internationale Organisation vor Ort, aber wir können diese riesige Krise nicht allein bewältigen. Wir haben Schwierigkeiten, unsere Projekte mit Hilfsgütern und Personal zu versorgen. Neben dem Zugang zu Hilfsgütern ist auch die Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung der UN-Organisationen sowie der lokalen Organisationen und Helfer*innen entscheidend, die die Hauptlast der Hilfstätigkeit tragen“, sagt Esperanza Santos, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Port Sudan. „Es braucht jetzt eine angemessene Reaktion, damit die Hilfen bei jenen ankommen, die sie am dringendsten benötigen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“
Ärzte ohne Grenzen betreibt und unterstützt im Sudan verschiedene medizinische Projekte, darunter mehr als 20 Kliniken und Krankenhäuser in acht der 18 Bundesstaaten. (MSF)