
Die Unberechenbarkeit von Donald Trump ist längst bekannt. Der Mann, der Kim Jong-un erst umwarb und dann bedrohte, mit den Taliban verhandelte und später den Rückzug aus Afghanistan kritisierte, könnte auch in der Westsahara-Frage einen Kurswechsel vollziehen. Fast fünf Jahre nachdem er im Rahmen der Abraham-Abkommen die marokkanische Souveränität über die Westsahara anerkannt hatte, sieht sich der 45. US-Präsident nun mit einer neuen geopolitischen Lage konfrontiert, die ihn zu einer radikal anderen Lösung bewegen könnte.
Der Westsahara-Konflikt, der 1975 mit dem Ende der spanischen Kolonialherrschaft begann, zieht sich seit 50 Jahren hin – trotz eines Waffenstillstands von 1991 und dem UN-Versprechen eines Referendums zur Selbstbestimmung. Im Dezember 2020 brach Trump mit der traditionellen US-Politik und erkannte im Tausch für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Marokko und Israel die „marokkanische Souveränität“ über das Gebiet an. Fünf Jahre später – ein erneuter Kurswechsel?
John Boltons Stellungnahme: Zurück zu den diplomatischen Wurzeln der USA
Ein Plädoyer für geopolitischen Pragmatismus: In einem Meinungsbeitrag vom 28. Mai 2025 in der Washington Times stellt John Bolton, Trumps ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater, diese Politik in Frage. Der Architekt der präventiven Sicherheitsdoktrin unter George W. Bush fordert, „die amerikanische Politik sollte zu ihren Ursprüngen zurückkehren und ein Referendum unterstützen, das den Sahrauis erlaubt, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden“.
Laut Bolton bedeutet die Unterstützung eines Referendums kein Geschenk an die Polisario-Front, sondern eine Rückkehr zur amerikanischen Linie der 1990er Jahre, als Washington – gestärkt durch den Sieg im Golfkrieg – die UN-Agenda mitbestimmte. „Die offensichtliche Lösung der Souveränitätsfrage ist es, die Sahrauis zu fragen, was sie wollen: Unabhängigkeit oder Autonomie unter marokkanischer Kontrolle“, argumentiert er.
Das Sicherheitsargument: Den sino-russischen Einfluss eindämmen
Der Wettlauf um den atlantischen Zugang Afrikas: Marokko setzt nicht nur auf Diplomatie, sondern zementiert seine Ansprüche auch durch Infrastruktur. Der geplante Atlantikhafen von Dakhla – ein 1,2-Milliarden-Dollar-Projekt mit geplanter Kapazität von 35 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2028 – soll ein transatlantischer Knotenpunkt werden, der mit den Kanarischen Inseln konkurriert und neue Logistikkorridore zwischen Afrika, Europa und Amerika erschließt.
Diese Infrastrukturstrategie geschieht vor dem Hintergrund intensiver geopolitischer Konkurrenz: China baut Tiefseehäfen von Dschibuti bis Tanger Med, während Russland mit seinem „Africa Corps“ (ehemals Wagner-Gruppe) Sicherheitsdienste gegen Minenkonzessionen vom Sahel bis zum Sudan tauscht.
Die amerikanische Antwort: Das Referendum
Bolton betont die Dringlichkeit: „Angesichts des wachsenden chinesischen und russischen Einflusses in Afrika dürfen wir ihnen keine weitere Angriffsfläche bieten.“ Ein von der UNO und den USA überwachtes Referendum könnte laut ihm:
– Die gegnerische Propaganda neutralisieren, indem es Peking und Moskau den „antikolonialen“ Vorwand nimmt, mit dem sie regelmäßig westliche Ungerechtigkeiten in Afrika instrumentalisieren.
– Die Kontrolle über Energie- und Rohstoffpartnerschaften (Phosphate, Seltene Erden in Tarfaya, Offshore-Windkraft) in amerikanische statt chinesische Hände legen – ganz im Sinne von Trumps Interesse an Seltenen Erden (ob in der Ukraine, in der DR Kongo oder in Grönland).
– Die USA sicherheitspolitisch in die sich anbahnende algerisch-sahraouische Zusammenarbeit integrieren – ohne permanente Basen oder größere Truppenpräsenz.
Das Wirtschaftsargument: Haushaltsersparnis und „Wüsten-Goldrausch“
60 Millionen Dollar jährlich sparen: Seit 1991 kostet die UN-Mission MINURSO die USA rund 60 Millionen Dollar jährlich. Die überfällige Durchführung des Referendums würde diese Ausgaben beenden – ein ideales Wahlkampfthema für Trump: „Ich spare Steuergelder, liefere Ergebnisse und hole unser Geld zurück.“
Die Rohstoffe der Westsahara: Es geht um mehr als nur Haushaltspolitik. Die Sande von Tarfaya enthalten hohe Konzentrationen seltener Erden, die bisher hauptsächlich von marokkanischen und asiatischen Firmen gefördert werden. Ein sahrauischer Staat, der Washington verpflichtet ist, würde US-Unternehmen bevorzugt behandeln – ein strategischer Vorteil für Rüstungsindustrie und grüne Technologien.
Auch das sahraouische Küstenplateau weist die besten Windverhältnisse Nordafrikas auf (Lastfaktor >45 %). Eine US-Sahraui-Partnerschaft im Bereich grüner Wasserstoff würde perfekt zur amerikanischen Industriestrategie (Inflation Reduction Act) passen – ohne den heimischen Öl-Lobby zu schaden, da es sich um Exportprojekte (Ammoniak) handelt, nicht um das Schließen texanischer Ölquellen.
Trump, Meister des narrativen Umschwungs, hätte seine Bühne gefunden: „2020 habe ich die Proklamation unterzeichnet, weil der Kongress geschlafen hat. Heute korrigiere ich das: Wir beenden einen 50 Jahre alten Konflikt – kostenlos und ohne Marines zu schicken.“
Ein symbolisches Bild, wie Trump in Laâyoune oder in den Flüchtlingslagern von Tindouf einen Stimmzettel abgibt, könnte zu seinem persönlichen „Berliner Mauer“-Moment werden – ein Moment, der sogar eine Nominierung für den Friedensnobelpreis rechtfertigen würde – eine bekannte Obsession des Ex-Präsidenten.
Ein seltener parteiübergreifender Konsens
Diese Strategie vereint ungewöhnlich viele politische Lager: Neokonservative Republikaner folgen Bolton aus sicherheitspolitischer Sicht, während Demokraten ein Comeback des Multilateralismus und der Achtung des Völkerrechts begrüßen – ein wertvoller parteiübergreifender Schulterschluss.
Gegen absehbare Kritik hat Trumps Team gute Argumente: Die Abraham-Abkommen werden nicht angetastet – sie gewinnen sogar an Glaubwürdigkeit, wenn Washington beweist, dass es das Selbstbestimmungsrecht achtet, das in seiner eigenen Unabhängigkeitserklärung von 1776 verankert ist.
Bestätigt das Referendum die marokkanische Autonomie, erhält Rabat endgültige Legitimität. Entscheidet es sich für die Unabhängigkeit, sichern sich die USA die Rolle des alleinigen Schutzpatrons des neuen Staates – vor China und sogar vor Marokko.
Das Referendum als geopolitischer Hebel zum Nulltarif
Die Idee, dass Trump ein Referendum zur Selbstbestimmung in der Westsahara unterstützt, ergibt in der geopolitischen Realität von 2025 durchaus Sinn. Durch eine von den USA unterstützte Abstimmung könnte Washington gleichzeitig Millionen einsparen, den geopolitischen Vormarsch von China und Russland bremsen, sich wichtige Rohstoffflüsse sichern – und einen spektakulären diplomatischen Erfolg verbuchen.
Wie Bolton zusammenfasst: „Die amerikanische Politik sollte zu ihren Ursprüngen zurückkehren“ – und das sahraouische Volk direkt befragen. Für einen Donald Trump, der nach neuen geopolitischen Trophäen sucht, könnte dieses „America-First-Referendum“ ein kühner Schachzug sein, der einen vergessenen Konflikt in einen diplomatischen Triumph verwandelt – ganz im Sinne seines politischen Stils. (Quelle: afrik.com)