Zum Tode von Ngũgĩ wa Thiong’o

Zum Tode von Ngũgĩ wa Thiong’o

Der kenianische Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong’o ist am 28. Mai 2025 im Alter von 87 Jahren in Buford, Georgia, USA, verstorben. Er war eine der bedeutendsten literarischen Stimmen Afrikas und ein unermüdlicher Kritiker von Kolonialismus und politischer Unterdrückung.

Geboren 1938 in Kamiriithu, Kenia, erlebte Ngũgĩ die Gewalt des britischen Kolonialregimes hautnah: Sein Bruder wurde während des Mau-Mau-Aufstands getötet, seine Mutter gefoltert. Diese Erfahrungen prägten sein literarisches Werk, das sich mit den Themen Kolonialismus, Unabhängigkeit und postkolonialer Machtmissbrauch auseinandersetzt.

Sein Debütroman Weep Not, Child (1964) war der erste englischsprachige Roman eines Ostafrikaners. Später wandte er sich bewusst seiner Muttersprache Gikuyu zu, um gegen die kulturelle Dominanz westlicher Sprachen zu protestieren. Sein Essay Decolonising the Mind (1986) wurde zu einem Schlüsseltext der postkolonialen Literaturtheorie.

Ngũgĩs politisches Engagement führte 1977 zu seiner Inhaftierung, nachdem sein Theaterstück Ngaahika Ndeenda die kenianische Regierung kritisierte. Während seiner Haft schrieb er den Roman Devil on the Cross auf Toilettenpapier. Nach seiner Freilassung ging er ins Exil und lehrte unter anderem an der University of California, Irvine.

Trotz zahlreicher Auszeichnungen, darunter der Park-Kyong-ni-Literaturpreis (2016) und mehrere Ehrendoktorwürden, wurde ihm der Literaturnobelpreis nie verliehen – ein Umstand, der von vielen als Versäumnis betrachtet wird.

Ngũgĩ wa Thiong’o hinterlässt ein umfangreiches literarisches Werk und gilt als Wegbereiter einer afrikanischen Literatur, die sich ihrer eigenen Sprachen und Traditionen bedient. Sein Tod markiert das Ende eines Kapitels, doch sein Einfluss wird weiterhin spürbar bleiben.

Literarisches Schaffen
Ngũgĩ wa Thiong’o begann seine Karriere als englischsprachiger Autor mit Weep Not, Child (1964), einem Roman, der den antikolonialen Kampf in Kenia thematisiert. Weitere bedeutende Werke auf Englisch sind:

– The River Between (1965): über kulturelle Spaltung durch Kolonialismus und Missionierung.

– A Grain of Wheat (1967): ein komplexer Roman über Verrat, Heldentum und Schuld zur Zeit der Unabhängigkeit.

In den 1970er Jahren entschied sich Ngũgĩ, fortan in Gikuyu zu schreiben – ein radikaler Schritt, der Teil seiner Überzeugung war, dass wahre kulturelle Befreiung nur in der eigenen Sprache stattfinden könne. Zu den wichtigsten Werken auf Gikuyu gehören:

– Caitaani Mutharaba-Ini (Devil on the Cross, 1980): geschrieben während seiner Haft, ein satirischer Roman über Ausbeutung und Neokolonialismus.

– Mũrogi wa Kagogo (Wizard of the Crow, 2004): ein epischer Roman über eine fiktive afrikanische Diktatur – sein umfangreichstes Werk.

Politisches Engagement und Exil
Ngũgĩs Werke und sein Engagement gegen soziale Ungerechtigkeit führten zu seiner Verhaftung 1977. Sein Theaterstück Ngaahika Ndeenda (Ich heirate, wen ich will) wurde in der Landessprache aufgeführt – von Bauern für Bauern – und kritisierte die Korruption der postkolonialen Elite.

Nach seiner Haft wurde er zunehmend bedroht. Nach einem Attentatsversuch 1982 in London lebte er im Exil, u. a. in Großbritannien, Schweden und den USA. Dort setzte er sich weiterhin für die kulturelle Dekolonisierung Afrikas ein.

Theorie der Dekolonisierung
Mit dem Essayband Decolonising the Mind (1986) formulierte Ngũgĩ seine vielleicht wichtigste intellektuelle Botschaft: Dass Sprache ein zentrales Schlachtfeld des Kolonialismus ist.

Er forderte:

– Abkehr von europäischen Sprachen in der afrikanischen Literatur

– Stärkung afrikanischer Sprachen im Bildungs- und Kulturbereich

– Kulturelle Unabhängigkeit als Voraussetzung für politische Freiheit

Dieser Text wurde zu einem Grundpfeiler postkolonialer Literatur- und Kulturtheorie – vergleichbar mit Werken von Frantz Fanon oder Edward Said.