
In den staubigen Gassen von Nouadhibou wird Hoffnung in Euro gehandelt. Was einst ein ruhiger Fischereihafen in Mauretanien war, hat sich innerhalb weniger Jahre zu einer der wichtigsten Startrampen nach Europa entwickelt. Während die europäischen Behörden ihre Kontrollen im Mittelmeerraum verstärken, entsteht eine neue atlantische Route, die die mauretanische Küste zu einem bedeutenden Migrationskorridor macht.
Der spanische Nationale Sicherheitsbericht für 2024 bestätigt das Ausmaß des Phänomens: 25.081 Personen haben von den mauretanischen Küsten aus die Überfahrt zu den Kanarischen Inseln gewagt – Mauretanien ist damit klar führend unter den Herkunftsländern. Zum Vergleich: 13.217 Abfahrten erfolgten von marokkanischen Stränden, womit das Königreich nun an zweiter Stelle steht.
Diese Zahlen belegen den raschen Wandel der Atlantikroute: Während Marokko historisch die Hauptrolle spielte, zeigt die Verlagerung der Ströme in den Südwesten der Sahara, wie flexibel sich Schleusernetzwerke an die verschärfte europäische Überwachung im Mittelmeerraum anpassen.
Nouadhibou: Vom Fischereihafen zum Migrations-Hub
Unter der gnadenlosen Sonne der mauretanischen Wüste lebt Nouadhibou – eine Stadt mit 120.000 Einwohnern, weniger als 500 Kilometer von den Kanaren entfernt – inzwischen im Takt der heimlichen Abfahrten. Malier, die der Unsicherheit entkommen, Senegalesen auf der Suche nach Chancen, Guineer, die politischen Krisen entfliehen, und Burkiner, die vor dschihadistischer Gewalt flüchten – sie alle strömen an diese Atlantikküste.
Der Grund für die neue Attraktivität? Ein „diskretes geopolitisches Profil“. Seit dem Übergang nach dem Putsch von 2008 gilt Mauretanien als relativ stabil und entgeht damit der intensiven Migrationsüberwachung, die etwa auf Marokko oder Libyen lastet. Die Folge: Allein zwischen Januar und Mai 2025 haben laut der spanischen Küstenwache mehr als 17.000 Migranten die Kanaren erreicht – ein Anstieg von 35 % im Jahresvergleich – und fast 60 % davon starteten von mauretanischen Stränden.
In den Außenvierteln von Nouadhibou hat sich eine Parallelwirtschaft etabliert. Die sogenannten „Connexions“ (Schleuser) verlangen 1.200 bis 3.000 Euro pro Platz – für viele eine Lebensersparnis. Die Überfahrten, die 7 bis 15 Tage dauern, meist in überfüllten Pirogen, werden so zur tödlichen Lotterie.
Europa im Umgang mit der Herausforderung Mauretanien
Als direkt betroffenes Land schickte Spanien im März 2025 Innenminister Fernando Grande-Marlaska nach Nouakchott. Madrid und Brüssel bieten Mauretanien 150 Millionen Euro über drei Jahre an – zur Stärkung der Küstenwache und für lokale Entwicklungsprojekte. Eine Logik der Externalisierung, die von NGOs heftig kritisiert wird: Sie sprechen von einer „kurzfristigen sicherheitspolitischen Antwort“, die die Ursachen des Phänomens nicht bekämpfe.
Bewaffnete Konflikte, Staatszerfall, Klimawandel – die Sahelzone steckt in einer komplexen Krise. Allein in Mali sind über 400.000 Menschen auf der Flucht, in Burkina Faso fast 2 Millionen. Ohne Perspektiven erscheint Europa vielen als letzter Ausweg – trotz der Lebensgefahr, die die Atlantikroute mit sich bringt.
Für Mauretanien – mit einem BIP pro Kopf von 1.600 Dollar – ist die Rolle als Transitland ambivalent: Sie bedeutet eine humanitäre Last, aber auch Einnahmen für die lokale Wirtschaft (Transport, einfache Unterkünfte, kleine Geschäfte). Präsident Mohamed Ould Ghazouani plädiert für einen „ausgewogenen Ansatz“ und fordert ebenso viel Entwicklungshilfe wie Sicherheitsunterstützung. (Quelle: afrik.com)